Killinger Literaturkunde, Schulbuch

230 Die Sprachkrise beendete Hofmannsthals lyrisches Schaffen. Er wandte sich ganz denjenigen literarischen Formen zu, mit denen er das Publikum stärker zu beeindrucken glaubte: dem Drama und der Erzählung. In diese Phase fällt die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Max Reinhardt (1873 – 1943) und mit dem Komponisten Richard Strauss (1864 – 1949), der viele Bühnenwerke des Dichters vertonte (Der Rosenkavalier, Arabella, Elektra, Die Frau ohne Schatten). Mit Leopold von Andrian (1875 – 1951) und Max Reinhardt gründete Hofmannsthal 1920 die Salzburger Festspiele. Jedermann und Das Salzburger Große Welttheater, Erneuerungen des Mysterienspiels, wurden für die Festspiele inszeniert. Nach dem Ersten Weltkrieg bemühte sich Hofmannsthal, das Kulturerbe der zerbrochenen österreichisch-ungarischen Monarchie in die neue Zeit hinüberzuretten. Es entstanden die Komödien Der Schwierige (1921) und Der Unbestechliche (1923). In der Komödie, meinte der Dichter, sei „höchste versammelte Kraft“; das Schwerste und das Unheimlichste müssten in einem Gleichgewicht gehalten werden, das immer den Eindruck der Leichtigkeit zu erwecken habe. Der „Schwierige“, Graf Hans Karl Bühl, ist ein idealer Vertreter der Wiener Noblesse. Seine aristokratische Art, seine Sprache und seine Behutsamkeit im Umgang mit Menschen offenbaren seine Persönlichkeit. Umgeben ist er von Personen, die, abgestuft, nur noch ein Zerrbild dieses Ideals eines vornehmen Menschen sind. Das ganze Lustspiel lebt von der Konversation. Hofmannsthals Furcht, dass die Sprache nicht mehr als Mittel tauge, sich selbst zu erklären und andere zu verstehen, klingt in diesem Stück an. Das „Chandosmotiv“ der Sprachkrise erscheint hier aber in abgeschwächter, abgeklärter Form. Der Dialog ironisiert die ichbezogene Eitelkeit und die leeren Worthülsen. Die alte Kunst der Konversation beschreibt Graf Altenwyl: Der Schwierige (1921) In meinen Augen ist Konversation das, was jetzt kein Mensch mehr kennt: nicht selbst perorieren1, wie ein Wasserfall, sondern dem andern das Stichwort bringen. Zu meiner Zeit hat man gesagt: wer zu mir kommt, mit dem muss ich die Konversation so führen, dass er, wenn er die Türschnallen in der Hand hat, sich gescheit vorkommt, dann wird er auf der Stiegen mich gescheit finden. – Heutzutag hat aber keiner, Pardon für die Grobheit, den Verstand zum Konversationmachen und keiner den Verstand, seinen Mund zu halten – Auch der deutsche Baron Neuhoff übt Kritik an der Gesellschaft, in welcher der ererbte Adel nur Dummheit und Eitelkeit deutlich hervortreten lässt: Geist und diese Menschen! Das Leben – und diese Menschen! Alle diese Menschen, die Ihnen hier begegnen, existieren ja in Wirklichkeit gar nicht mehr. Das sind ja alles nur mehr Schatten. Niemand, der sich in diesen Salons bewegt, gehört zu der wirklichen Welt, in der die geistigen Krisen des Jahrhunderts sich entscheiden. Sehen Sie doch um sich: eine Erscheinung wie die Figur dort im nächsten Zimmer, vom Scheitel bis zur Sohle sich balancierend in der Selbstsicherheit der unbegrenzten Trivialität. Hofmannsthals Dramen 5 1 perorieren: sprechen 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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