Killinger Literaturkunde, Schulbuch

GEGENSTRÖMUNGEN ZUM NATURALISMUS | 1890 – 1925 235 aber da hätt’ ich lang’ warten können ... Und alles Übrige kenn’ ich ... Ob so ein Mensch Steffi oder Kunigunde heißt, bleibt sich gleich. – – Und die schönsten Operetten kenn’ ich auch – und im Lohengrin bin ich zwölfmal drin gewesen – und heut’ Abend war ich sogar in einem Oratorium – und ein Bäckermeister hat mich einen dummen Buben geheißen – meiner Seel’, es ist grad’ genug! – Und ich bin gar nimmer neugierig ... – Also geh’n wir nach Haus, langsam, ganz langsam ... Eile hab’ ich ja wirklich keine. – Noch ein paar Minuten ausruhen da im Prater, auf einer Bank – obdachlos. – Ins Bett leg’ ich mich ja doch nimmer – hab’ ja genug Zeit zum Ausschlafen. – – Ah, die Luft! – Die wird mir abgeh’n ... 4. Analysieren Sie anhand dieses Textausschnitts Schnitzlers Gestaltungsweise: • Fassen Sie zunächst den Inhalt dieser Stelle in eigenen Worten zusammen. • Finden Sie Beispiele für stilistische Eigenheiten des inneren Monologs. • Erläutern Sie, welche Wirkung damit erzielt wird. • Charakterisieren Sie Leutnant Gustl anhand seiner Einstellung zum Leben und Sterben, zu seiner Familie, zu Frauen allgemein, zu seinen Freunden und zum Krieg. 5. Verfassen Sie einen Text zur Vorgeschichte dieser Situation: • Lesen Sie zunächst den obigen Abschnitt erneut. • Schreiben Sie einen Prosatext, der die Ausgangssituation detailliert darstellt. • Vergleichen Sie Ihre Version mit dem Originaltext SYMBOLISMUS Der Symbolismus ist nicht auf einige wenige Dichterinnen und Dichter oder einen begrenzten Zeitraum zu beschränken; schon bei Conrad Ferdinand Meyer finden sich symbolistische Gedichte, und sie tauchen in der Lyrik nach dem Zweiten Weltkrieg, fast 100 Jahre später, wieder auf. Als Wegbereiter der symbolistischen Dichtung gelten die Franzosen Charles Baudelaire (1821 – 1867), Paul Verlaine (1844 – 1896) und Stéphane Mallarmé (1842 – 1898), die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen den französischen Naturalismus auftraten und in ihren Gedichten nicht die reale Wirklichkeit der verachteten bürgerlichen Welt ausdrücken, sondern eine autonome Welt der Kunst schaffen wollten, die durch symbolhafte Zeichen erahnbar wird. Die poésie pure (absolute Dichtung) dient keinem fremden Zweck, weder politischen noch sozialen Zielen, sie ist sich selbst genug (l’art pour l’art1). In der deutschen Literatur nach der Jahrhundertwende zeigt sich die symbolistische Darstellungsweise besonders bei Stefan George (1868 – 1933), Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke ausgeprägt. Symbol Ein bildhaftes Zeichen, das abstrakte Vorstellungen, etwas schwer Sagbares veranschaulicht. Zum Beispiel stehen im Minnesang der „meie“ für Lebensfreude und Glück, die „rose“ für die liebende Frau und der „valke“ für den jungen Ritter. Goethe meinte, das Symbol sei die Natur der Poesie; denn es verwandle Ideen in Bilder: Ein „Allgemeines“ (z. B. die Reinheit) werde in einem „Besonderen“ (in der weißen Lilie) erfasst. In der modernen Dichtung, vor allem in der Lyrik, wandelt sich das Symbol zu einem Wort, dem im Rahmen eines Textes eine neue, nicht übliche Bedeutung zugemessen wird. 25 Französische Vorbilder 1 l’art pour l’art: die Kunst als Selbstzweck Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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