Killinger Literaturkunde, Schulbuch

272 KRIEGSROMAN Im Gefolge des Ersten Weltkrieges erschienen eine Reihe von Romanen, die die Erlebnisse der Kriegsgeneration zu verarbeiten versuchten. Während manche dieser Texte das Heroische des Kampfes in den Mittelpunkt rückten (z. B. Ernst Jünger In Stahlgewittern, 1920) und den Krieg nicht direkt verurteilten, bezogen andere Werke sehr explizit eine Position gegen jede Form von Krieg, indem sie ungeschminkt die Gräuel und Sinnlosigkeit des Ersten Weltkrieges und seine Folgen für die Kriegsteilnehmer schilderten. Der folgende Abschnitt aus Erich Maria Remarques (1898 – 1970) Roman Im Westen nichts Neues zeigt, wie Rekruten für den Kampf vorbereitet werden: Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues (1928) Wir haben den Sinn für andere Zusammenhänge verloren, weil sie künstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig für uns. Und gute Stiefel sind selten. Früher war auch das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren wir noch eine Klasse von zwanzig jungen Menschen, die sich, manche zum ersten Male, übermütig gemeinsam rasieren ließ, bevor sie den Kasernenhof betrat. Wir hatten keine festen Pläne für die Zukunft, Gedanken an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt, daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; – dafür jedoch steckten wir voll ungewisser Ideen, die dem Leben und auch dem Kriege in unseren Augen einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen. Wir wurden zehn Wochen militärisch ausgebildet und in dieser Zeit entscheidender umgestaltet als in zehn Jahren Schulzeit. Wir lernten, daß ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bände Schopenhauer. Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgültig erkannten wir, daß nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die Wichsbürste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit, sondern der Drill. Mit Begeisterung und gutem Willen waren wir Soldaten geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen war es uns nicht mehr unfaßlich, daß ein betreßter1 Briefträger mehr Macht über uns besaß als früher unsere Eltern, unsere Erzieher und sämtliche Kulturkreise von Plato bis Goethe zusammen. Mit unseren jungen, wachen Augen sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer Lehrer sich hier vorläufig realisierte zu einem Aufgeben der Persönlichkeit, wie man es dem geringsten Dienstboten nie zugemutet haben würde. Grüßen, Strammstehen, Parademarsch, Gewehrpräsentieren, Rechtsum, Linksum, Hackenzusammenschlagen, Schimpfereien und tausend Schikanen: wir hatten uns unsere Aufgabe anders gedacht und fanden, daß wir auf das Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden. 13. Setzen Sie sich mit diesem Abschnitt aus Remarques Anti-Kriegsroman auseinander: • Beschreiben Sie die Erziehungsprinzipien, denen der Erzähler ausgesetzt ist. • Erörtern Sie, warum eine derartige Vorgangsweise gewählt wird. • Kommentieren Sie die Folgen, welche sich aus derartigen Erziehungsmethoden für den Einzelnen und die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt ergeben. 8dh75h 5 10 15 1 betreßt: mit Tressen (mit Metallfäden durchzogene Borten) versehen 20 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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