Killinger Literaturkunde, Schulbuch

VOM ERSTEN ZUM ZWEITEN WELTKRIEG | 1920 – 1945 279 eine Rüstung und einen Helm; ohne Wahrheit war das Gedicht, wirklichkeitsfern sein Held Äneas, wirklichkeitsfern der Äneas-Enkel darin, ein Gedicht ohne Erkenntnistiefe, das nichts wahrhaft festgehalten hat, unfähig hiezu, weil nur in der Erkenntnis sich Licht und Schatten formbauend sondern: das Gedicht war schattenlos fahl geblieben. 19. Vergleichen Sie die Standpunkte von Augustus und Vergil in Bezug auf die Rolle der Literatur: • Beschreiben Sie den Standpunkt des Augustus. • Erläutern Sie, worin die Unzufriedenheit Vergils mit seinem Werk begründet ist. Erlebte Rede Der letzte Absatz des Ausschnitts ist in der Form der erlebten Rede geschrieben. Die erlebte Rede steht zwischen der direkten Rede und dem inneren Monolog. Sie gibt Vorstellungen und Gedanken einer Figur wieder, jedoch in der 3. Person, also in einer Form, die von der Anwesenheit einer Erzählfigur zeugt. Erlebte Rede und Gang der Handlung werden eins. Da die erlebte Rede geheimste Gedanken offenbart, lässt sie uns tief in die Welt der Figur blicken und gewinnt suggestive Eindringlichkeit. LYRIK DER ZWISCHENKRIEGSZEIT Während die Lyrik im Expressionismus eine bedeutende Rolle gespielt hatte, wurde sie in der Zwischenkriegszeit zurückgedrängt, da die Betonung der sachlichen Schilderung von Inhalten ihr die Ausdruckskraft geraubt hatte. Einerseits trat ironisch-humorvolle Gebrauchslyrik in den Vordergrund, andererseits gewann die Landschaftslyrik größeres Gewicht. Man wollte keine Erneuerung des romantischen Naturgedichts, in dem die Stimmung der Dichterin oder des Dichters im Vordergrund steht und die Natur nur Bilder und Vergleiche liefert. Der Gefühlserregung des lyrischen Ichs stellte man vielmehr die Sprache der Dinge gegenüber. Das übersteigerte Ich-Bewusstsein der Expressionisten sollte von den konkreten Erscheinungen der Natur zurückgedrängt werden. Das genaue Benennen und Beschreiben von Gegenständen und Vorgängen in der Natur sollte das Aufkommen von verschwommenen Gefühlen verhindern, die sich an Naturgedichten so leicht festsetzen. Wilhelm Lehmann meinte: „Die Natur hält jedermann ihre furchtbaren Gemeinplätze hin.“ Eigenart eines Gedichts müsse es jedoch sein, „angeschaute Welt“ zu vermitteln. Das Gedicht versetze „Menschen wie Dinge aus einem ungenauen in einen genauen Zustand“ und verbanne die „Sonntagsgefühle“. Bei all dem wird nicht berichtet wie im Naturalismus; denn die „neue Sachlichkeit“ schließt das Wunder der Natur mit ein. Schon die „Ordnung des Sichtbaren“ erscheint als wunderbar. In formaler Hinsicht verhielten sich die Autorinnen und Autoren durchaus traditionell, d. h. sie verwendeten die gängigen Strophen-, Vers- und Reimformen. Hans Carossa (1878 – 1956), Wilhelm Lehmann (1882 – 1968), Joachim Ringelnatz (1883 – 1934), Gottfried Benn (1886 – 1956), Kurt Tucholsky (1890 – 1935), Georg Britting (1891 – 1964), Bertolt Brecht, Elisabeth Langgässer (1899 – 1950), Erich Kästner (1899 – 1974), Peter Huchel (1903 – 1981), Mascha Kaléko (1907 – 1975) und Günter Eich (1907 – 1972) zählen zu den Lyrikerinnen und Lyrikern dieser Epoche. Einige von ihnen haben auch nach dem Zweiten Weltkrieg ihre schriftstellerische Tätigkeit in ähnlicher Weise fortgesetzt. 55 Sachlicher Zugang Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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