Killinger Literaturkunde, Schulbuch

VOM ERSTEN ZUM ZWEITEN WELTKRIEG | 1920 – 1945 281 LITERATUR ZUR ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS Seit 1933 stand der Literaturbetrieb in Deutschland unter dem direkten Einfluss der Nationalsozialisten (in Österreich ab 1938). Die von ihnen bevorzugte Literatur war rückwärtsgewandt, thematisch an der Hinwendung zu Heimat und Vaterland orientiert („Blut und Boden“). Moderne Strömungen wurden ebenso abgelehnt wie ideologisch andersdenkende Autorinnen und Autoren und Schriftstellerinnen und Schriftsteller jüdischer Herkunft. Publikationen waren an die Zustimmung der Reichsschrifttumskammer gebunden, die dem Propagandaministerium unterstand und womit das Regime beliebig Zensur ausüben und seine rassistisch geprägte Politik der Verfolgung ausführen konnte. Literatur und Kunst hatten sich der nationalsozialistischen Propaganda und Ideologie unterzuordnen. Das öffentliche Klima hatte sich schon seit den 1920er Jahren verschärft, sodass sich bereits vor 1933 viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller gezwungen sahen, ins Exil zu gehen. Andere zogen es vor, das Land zu verlassen, da sie mit den politischen Entwicklungen nicht einverstanden waren. Die Zeit im Exil wurde durchaus unterschiedlich erlebt: Während es manchen gelang, im Ausland Fuß zu fassen, wie etwa Thomas (1875 – 1955) und Klaus Mann (1906 – 1949), Carl Zuckmayer (1896 – 1977), Bert Brecht (1898 – 1956), Franz Werfel (1890 – 1945) in den USA, Erich Fried (1921 – 1988), Theodor Kramer (1897 – 1958) in Großbritannien, Anna Seghers (1900 – 1983) in Mexiko etc., scheiterten andere an den Gegebenheiten und der Einschränkung ihrer Freiheit. Teilweise sahen sie keinen anderen Ausweg als Selbstmord, u. a. Stefan Zweig (1881 – 1942), Kurt Tucholsky (1890 – 1935), Walter Benjamin (1892 – 1940). Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam es zur direkten Verfolgung aus rassistischen und politischen Gründen. Im Mai 1933 wurden im ganzen Land öffentliche Bücherverbrennungen organisiert, bei denen Werke jüdischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller und solcher, die dem Regime ablehnend gegenüberstanden, vernichtet wurden. Eine Reihe von Autorinnen und Autoren kam in Konzentrationslagern und Gefängnissen um, z. B. Jura Soyfer (1912 – 1939). Im folgenden Gedicht schildert Theodor Kramer (1897 – 1958), wie die Situation von den Betroffenen empfunden wurde. Theodor Kramer: Wer läutet draußen an der Tür? (1939) Wer läutet draußen an der Tür, kaum daß es sich erhellt? Ich geh schon, Schatz. Der Bub hat nur die Semmeln hingestellt. Wer läutet draußen an der Tür? Bleib nur; ich geh, mein Kind. Es war ein Mann, der fragte an beim Nachbar, wer wir sind. Wer läutet draußen an der Tür? Laß ruhig die Wanne voll. Die Post war da; der Brief ist nicht dabei, der kommen soll. Wer läutet draußen an der Tür? Leg du die Betten aus. Der Hausbesorger war’s; wir solln am Ersten aus dem Haus. Wer läutet draußen an der Tür? Die Fuchsien blühn so nah. Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein und wein nicht: sie sind da. Exilliteratur Verfolgung 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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