282 22. Erlautern Sie, wie die Situation der Festnahme hier – schrittweise aufgebaut – dargestellt wird: • Stellen Sie dar, wer das lyrische Ich in diesem Gedicht ist und in welcher Situation es sich hier befindet. • Analysieren Sie, mit welchen Mitteln die zunehmend ausweglose Situation ausgedruckt wird. • Beschreiben Sie, welche Wendung sich am Schluss ergibt. • Erklären Sie, wie die Entwicklung uber die einzelnen Strophen hinweg dargestellt wird. Anna Seghers (1900 – 1983), eigentlich Netty Radvanyi, geb. Reiling, war auf Grund ihrer marxistischen Einstellung schon 1933 aus Deutschland nach Frankreich geflohen. Später emigrierte sie nach Mexiko, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Ihr Roman Das siebte Kreuz (abgeschlossen 1939) erzählt von sieben Häftlingen, die aus einem Konzentrationslager entfliehen. Einer der Flüchtlinge, Georg Heisler, die Hauptfigur des Textes, erlebt die Verfolgung in den verschiedensten Ausformungen. Schließlich gelingt ihm als Einzigem die Flucht. Die anderen Flüchtlinge werden entweder wieder gefangen genommen oder kommen ums Leben. Die Einlieferung von Heislers Fluchtgefährten Wallau, der die Flucht geplant hatte, löst unter den Mithäftlingen Bestürzung aus. Anna Seghers: Das siebte Kreuz (1939) Später erzählte einer von diesem Morgen: „Auf uns Gefangene machte die Einlieferung Wallaus ungefähr einen solchen Eindruck wie der Sturz Barcelonas oder der Einzug Francos in Madrid oder ein ähnliches Ereignis, aus dem hervorzugehen scheint, daß der Feind alle Macht der Erde für sich hat. Die Flucht der sieben Leute hatte für alle Gefangenen die furchtbarsten Folgen. Trotzdem ertrugen sie den Entzug von Nahrung und Schlafdecken, die verschärfte Zwangsarbeit, die stundenlangen Verhöre unter Schlägen und Drohungen mit Gelassenheit, ja zuweilen mit Spott. Unser Gefühl, das wir nicht verbergen konnten, reizte die Peiniger noch mehr. So stark empfanden die meisten von uns diese Flüchtlinge als einen Teil von uns selbst, daß es uns war, als seien sie von uns ausgeschickt. Obgleich wir nichts von dem Plan gewußt hatten, kam es uns vor, etwas Seltenes sei uns gelungen. Vielen von uns war der Feind allmächtig vorgekommen. Während die Starken sich ruhig einmal irren können, ohne etwas zu verlieren, weil selbst die mächtigsten Menschen noch Menschen sind – ja sogar ihre Irrtümer machen sie nur noch menschlicher –, darf sich, wer sich als Allmacht aufspielt, niemals irren, weil es entweder Allmacht ist oder gar nichts. Wenn ein noch so winziger Streich gelang gegen die Allmacht des Feindes, dann war schon alles gelungen. Dieses Gefühl schlug in Schrecken um, ja bald in Verzweiflung, als man einen nach dem andern einbrachte, verhältnismäßig rasch, und, wie es uns vorkam, mit einer höhnischen Mühelosigkeit. In den zwei ersten Tagen und Nächten hatten wir uns gefragt, ob sie denn auch den Wallau erwischten. Wir kannten ihn kaum. Er war nur nach seiner Einlie ferung ein paar Stunden bei uns gewesen, dann war er gleich wieder zum Verhör gebracht worden. Wir hatten ihn zwei- oder dreimal nach solchen Verhören gesehen, ein wenig taumelnd, eine Hand gegen den Bauch gepreßt, mit der anderen Hand machte er zu uns hin eine winzige Bewegung, als wollte er ausdrücken, daß das alles nichts Endgültiges zu bedeuten hätte und daß wir uns trösten sollten. Wie dieser Wallau jetzt auch eingefangen war und zurückgebracht wurde, da weinten manche wie Kinder. Wir wären jetzt alle verloren, dachten wir: Man würde den Wallau jetzt auch ermorden, wie man alle ermordet hatte. Gleich im ersten Monat der Hitlerherrschaft hatte man Hunderte unserer Führer ermordet, in allen Teilen des Landes, jeden Monat wurden welche ermordet. Teils wurden sie öffentlich hingerichtet, teils in den Lagern zu Ende gequält. Die ganze Generation hatte man ausgerottet. ... 5 10 15 20 25 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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