DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 291 werden sichtbar im Blattwerk als dunkler Zwang, die Bewegung der Flügel färbt die Früchte. Es heißt Geduld haben. Bald wird die Vogelschrift entsiegelt, unter der Zunge ist der Pfennig zu schmecken. 2. Untersuchen Sie, wie in diesem Gedicht die bedrohlichen existenziellen Fragen des lyrischen Ichs durch die Einbettung in die Natur aufgehoben werden: • Suchen Sie Begriffe und Wendungen, die auf die Vergänglichkeit der Natur und damit auch des Menschen hinweisen. • Analysieren Sie, welche Metapher das stetige Vergehen der Zeit schildert. • Erläutern Sie, was an der Form auffallt. 3. Erörtern Sie in einem kurzen Text, welche Wirkung die Aussage des Gedichtes auf den heutigen Leser/die heutige Leserin ausüben kann. Karl Krolow: Orte der Geometrie (1953) Orte der Geometrie: Einzelne Pappel, Platane. Und dahinter die Luft, Schiffbar mit heiterem Kahne In einer Stille, die braust. Einsames Sich-Genügen In einem Himmel aus Schaum, Hell und mit kindlichen Zügen. Alles wird fasslich und Form: Kurve des Flusses, Konturen Flüchtender Vögel im Laub, Diesige Hitze-Spuren, Mundvoll Wind und Gefühl Für blaue Blitze, die trafen Körperschatten, die sanft Schwankten wie Segel vorm Hafen. 4. Untersuchen Sie die Darstellung der Natur in Krolows Gedicht: • Beschreiben Sie, mit welchen Stilmitteln hier die Natur dargestellt wird. • Analysieren Sie, welche Auswirkung die Satzgestaltung hat. • Stellen Sie fest, was diesen Text von einem romantischen Naturgedicht (z. B. Eichendorff, Sehnsucht, S. 175) unterscheidet. 5. Fertigen Sie ein Bild dieser Szenerie an, die die wesentlichen Aspekte darstellt: • Beachten Sie dabei besonders die Anordnung, die Farbgebung und die Konturen der Bildelemente. Die ästhetische Form Gottfried Benn (1886 – 1956) möchte in seinen 1949 erschienenen Statischen Gedichten die Sinnlosigkeit des Seins durch die ästhetische Form, die der Mensch schafft, bannen. Die Ekelgedanken über das Absurde des Daseins sollen mit dem Schönheitsschleier der Kunst überdeckt werden. Denn nur mit Hilfe der künstlerischen Form kann die „schlechteste aller Welten“ erträglich gemacht werden; Sinnstiftung ist nur im Bereich der Kunst möglich. Rundherum ist das Chaos des Seins. Die Gedichte aus Benns letzter Periode durchzieht eine zweifache Thematik: Zum einen werden die Kunst und der künstlerische Schaffensvorgang selbst Gegenstand der Darstellung, zum anderen wird als Ziel ein „absolutes Gedicht“ angestrebt, das die Erfahrung des einsamen Ichs in Form verwandelt. 8 10 12 2 4 6 8 10 12 14 16 Ästhetik als Filter der Wirklichkeit Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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