DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 313 Alle brechen in einen unbeschreiblichen Jubel aus. Tanzen herum, steigen auf die Stühle, der Turner turnt usw. Ill trommelt sich begeistert auf die Brust. ILL: Die Klara! Goldig! Wunderbar! Zum Kugeln! Voll und ganz mein Zauberhexchen! Er küßt sie. DER BÜRGERMEISTER: Unter einer Bedingung, haben gnädige Frau gesagt. Darf ich diese Bedingung wissen? CLAIRE ZACHANASSIAN: Ich will die Bedingung nennen. Ich gebe euch eine Milliarde und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit. Totenstille. DER BÜRGERMEISTER: Wie ist dies zu verstehen, gnädige Frau? CLAIRE ZACHANASSIAN: Wie ich es sagte. DER BÜRGERMEISTER: Die Gerechtigkeit kann man doch nicht kaufen! CLAIRE ZACHANASSIAN: Man kann alles kaufen. [...] Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet. 39. Setzen Sie sich mit der scheinbar harmlosen Begrü ßungsszene, mit der Dürrenmatt das Stück eröffnet, auseinander: • Fassen Sie die Szene in eigenen Worten zusammen. • Vergleichen Sie das Bild, das der Bü rgermeister in seiner Begrü ßungsrede gibt, mit dem, was Claire schildert. • Fü hren Sie Grü nde dafü r an, weshalb Claire Zachanassian annimmt, mit ihrem Angebot Erfolg haben zu kö nnen. • Diskutieren Sie, inwieweit Dü rrenmatts Darstellung heute noch aktuell ist. 40. Gestalten Sie einen Entwurf für ein Bühnenbild für diese Szene. Die „tragische Komödie“ macht deutlich, wie Verrat entsteht, wie man Gerechtigkeit kaufen kann und wie sehr der Mensch verführbar ist. Zwar lehnt der Bürgermeister seitens der Stadt Güllen das Angebot im Namen der Menschlichkeit lauthals ab, aber nach und nach und nach lassen sich alle Bewohner kaufen, der Arzt, der Lehrer, der Pfarrer. Der Stadtturner erwürgt Ill, der Arzt stellt Herzschlag fest. Das Stück ist kennzeichnend für das Gesamtwerk Dürrenmatts. ABSURDES THEATER Einer der Hauptvertreter des absurden1 Theaters, der 1909 in Bukarest geborene, in Paris 1994 gestorbene Eugène Ionesco (1909 – 1994), der Autor der Stücke Die kahle Sängerin (1950), Die Stühle (1952), Die Nashörner (1959) und Der König stirbt (1962), erläutert das Absurde so: Absurd ist etwas, das ohne Ziel ist [...] Wird der Mensch losgelöst von seinen religiösen, metaphysischen2 oder transzendentalen3 Wurzeln, so ist er verloren, all sein Tun wird sinnlos, absurd, unnütz, erstickt im Keim. 45 50 55 1 absurd: widersinnig 2 metaphysisch: übernatürlich, übersinnlich 3 transzendental: die Grenzen der Erfahrung und der sinnlich erkennbaren Welt überschreitend Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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