DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 327 Sophie, die Schwester, antwortet ihm: Kein Schimmer Trost für jemanden, der ist, wie du bist: der einem anderen die Freude an sich selber nimmt, und der das Böseste vom Bösen tut: der einem Kind im Namen eines Wahnweltbilds die Zukunft stiehlt. Nova, eine Art Verkündigungsengel, spricht zuletzt eine Heilsbotschaft, worin der Mensch aufgefordert wird, zu wirken, sich am Positiven zu orientieren und an der Natur zu genesen: Tretet in den Moment der aufgehenden Sonne, die euer Maß sein wird: nichts als „die Sonne und ihr“, und die Sonne euer Weiterwinker: die Sonne, sie hilft. Die Natur ist das einzige, was ich euch versprechen kann – das einzig stichhaltige Versprechen. In ihr ist nichts „aus“, wie in der bloßen Spielwelt, wo dann gefragt werden muss: „Und was jetzt?“ Sie kann freilich weder Zufluchtsort noch Ausweg sein. Aber sie ist das Vorbild und gibt das Maß: dieses muss nur täglich genommen werden. [...] Wer sagt, dass das Scheitern notwendig ist? Überhört den Schluckauf der Sterbenden: sie lügen. Denkt nach: habt ihr euren Krieg nicht hinter euch? So verstärkt die friedliche Gegenwart und zeigt die Ruhe von Überlebenden: das Ich ist ruhig. Und das Wissen, dass ihr Überlebende seid, macht zugleich heiß. Hier ist das Gegenhaus zu einem Krankenhaus, und was von weitem vielleicht der drohende Kopf des Todes war, entfaltet sich beim Näherkommen als Kinderspiel. Die schwarzen Augenhöhlen gehören zu einem freundlichen alten Mann. Schüttelt euer Jahrtausendbett frisch. Bewegt euch. Die lebenslang Siechen, das seid nicht ihr. Eure Kunst für die Gesunden, und die Künstler sind die Lebensfähigen – sie bilden das Volk. Übergeht die kindfernen Zweifler. Wartet nicht auf einen neuen Krieg, um geistesgegenwärtig zu werden: die Klügsten sind die im Angesicht der Natur. Blickt ins Land – so vergeht die böse Dummheit. [...] So lasst euch nicht nachsagen, ihr hättet den Frieden nicht genutzt zu Werken: euer Arbeiten soll ein Wirken sein – gebt etwas weiter. Weitergeben tun aber nur, die etwas lieben: liebt eines – es genügt für alles. Die Liebe erst ermöglicht die Sachlichkeit. [...] Ja, überliefert form-sehnsuchts-durchdrungen die heile Welt – das Hohnlachen darüber ist ohne Bewusstsein. (Es hat den falschen Namen: es sind die Krepierlaute der Seelenkadaver.) Mephisto ist hier nicht die Hauptfigur. Die Gegensprechanlage ist ohne Strom. Die Seelenfänger treten woanders auf; und wenn euch ein Tod Angst macht, dann habt ihr ihn falsch gelesen. Die Toten sind das zusätzliche Licht – sie verwandeln euch. Macht euch nichts aus eurer Unfähigkeit, sie anzureden: eine Silbe genügt. Lasst euch nicht mehr einreden, wir wären die Lebensunfähigen und Fruchtlosen einer End- oder Spätzeit. Weist mit Entrüstung zurück das Geleier von den Nachgeborenen. Wir sind die Ebenbürtigen. Wir hier sind so nah am Ursprung wie je, und jeder von uns ist bestimmt zum Welteroberer. Soll die Zeit des Lebens nicht die Episode des Triumphs sein? Ja, die Zeit unsres Daseins soll unsre triumphale Episode sein! Vielleicht gibt es keine Orte einer Wildnis mehr; aber das Wilde, immer Neue, ist noch immer: die Zeit. Es wird immer wieder ernst. Das blecherne Ticken der Uhren besagt nichts. Die Zeit ist jenes Vibrieren, das euch durch das verfluchte Jahrhundert hilft; und zugleich das Lichtzelt des Überdauerns. Nur die Blicklosen halten das für ein Bild. Zeit, ich habe dich! Leute von hier: vergesst die Sehnsucht nach den vergangenen heiligen Orten und Jahren. Mit euch ist die heilige weite Welt. Jetzt ist der heilige Tag. Wirkend arbeitend, seht ihr ihn und könnt ihn fühlen. Jetzt: das sind die Farben. Ihr seid jetzt, und ihr seid die Gültigen. Dass ihr seid, ist ein Datum. Handelt danach. [...] In der Erschütterung erst seht ihr scharf. Die Form ist das 10 15 20 25 30 35 40 45 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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