Killinger Literaturkunde, Schulbuch

DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 347 61. Setzen Sie sich mit den im Text geschilderten Verhaltensweisen im Vergleich mit denen heutiger Jugendlicher auseinander: • Diskutieren Sie im Plenum, welche Aspekte gleich oder ahnlich sind. • Kommentieren Sie, welche Facetten sich seit damals verandert haben. • Erörtern Sie mögliche Grundprobleme, die Erziehende mit Jugendlichen dieser Altersgruppe haben. PROSA-LITERATUR IN ÖSTERREICH Die kurzen Prosastücke der Autorinnen und Autoren, die in den 1940er Jahren geboren wurden und Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre zu publizieren begannen, sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie keine Geschichte erzählen, keine Handlung im herkömmlichen Sinn haben. Davor hatte selbst die kürzeste Kurzgeschichte eine – oft sehr ereignisreiche – Handlung. Nun fordert Michael Scharang (geb. 1941) als Vertreter der jungen Generation: „Schluss mit dem Erzählen!“ Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller wollen nicht unterhalten, sondern die Lesenden sozialkritisch erziehen und zum Handeln im Sinn einer neuen Gesellschaftsordnung motivieren. Häufig begnügen sie sich aber auch damit, die Bürgerinnen und Bürger zu schockieren und zu provozieren. Zudem wird Sprache verfremdet, montiert. Vordergründig nicht Zusammengehörendes wird nebeneinander gestellt; banale Sätze aus der Alltagssprache werden aneinandergereiht. Auch die Kurzprosa von Alois Brandstetter (geb. 1938) demaskiert althergebrachte, verfestigte Einrichtungen und Wertvorstellungen mit außerordentlichem Sinn für das Grotesk-Komische. Alois Brandstetter: Über das Wesen der Freiwilligen Feuerwehr (1971) Das Wichtigste an der Feuerwehr ist ihr freiwilliges Wesen. Der Feuerwehrmann kennt seine Schläuche in- und auswendig. In der Katastrophe ist der Mensch ohne Feuerwehr manchmal sehr einsam. An der Sirene erkennt man die Feuerwehr. Die schlechte Feuerwehr hat ein heiseres Horn. Bei der Berufsfeuerwehr entfällt leider Gottes die Freiwilligkeit. Notgedrungen arbeiten wir auch mit der Berufsfeuerwehr zusammen. Wir lassen uns nicht von Lausbubenstreichen missbrauchen. Heute verziert der heilige Florian das Zeughaus. Zur Linde findet der Ball statt. Der Herr Geistliche Rat ist auch da. Die jungen Leute tanzen. Die Musik spielt. Wir sind aber auch heute auf der Hut. Ein starkes Unwetter erfüllt die Bedingungen des Alarms. Ohne Eintrittskarte kommt uns keiner hinein. Dreimal hoch und dreimal tief ist das Feuer. Das Fahrzeug ist selbstverständlich allezeit betriebsbereit. Ein A-Schlauch ist kein C-Schlauch. Die Rede des Bürgermeisters spornt uns zu neuen Taten an. Der Bürgermeister heftet dem Hauptmann infolge der großen Einsatzfreude eine Medaille an. Der Hauptmann hat sich das längst verdient. Wir denken nicht daran, uns auf der neuen Motorspritze auszuruhen. Auch das Hochwasser gehört in unser Ressort. Wasser kann man dummerweise nicht löschen. Blitzschläge haben einen Seltenheitswert. Die Donau zieht das Unwetter an. Am Jahresende rechnen wir die Brände zusammen. Die Einsätze können praktisch mit zwei multipliziert werden. Brandstiftung ist möglich. Die Gemeinde blickt voller Stolz auf uns hernieder. Die Hauptversammlung dauert lange. Die Frankfurter sind nur ein bescheidner Dank des Gemeinwesens. Das Bier schmeckt wie nach der Übung. Es regnet Leistungsabzeichen. Lebensretter ist etwas Schönes. Beim Fotografieren steht der Hauptmann in der Mitte. 5 10 15 20 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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