Killinger Literaturkunde, Schulbuch

DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 357 71. Vergleichen Sie die moderne Version des Heimatromans von R. P. Gruber mit einer Stelle aus Ludwig Ganghofers (1855 – 1920) Der Jäger von Fall, einem traditionellen Heimatroman aus dem 19. Jahrhundert: • Lesen Sie zunächst den folgenden Abschnitt und markieren Sie Stellen, die Ihnen typisch für diese Art von Text erscheinen. • Stellen Sie dieser Textstelle die Darstellungsweise Grubers gegenüber. • Analysieren Sie Elemente des traditionellen Heimatromans. • Erklären Sie, wie Gruber diesen uberwindet. Ludwig Ganghofer: Der Jäger von Fall (1883) Auf der Brücke vor der Tür steht ein schlankgewachsener Bursch in der Tracht der Jagdgehilfen: schwergenagelte Schuhe an den nackten Füßen, dickwollene weiße Wadenstrümpfe, die kurze gemslederne Hose, ein blaugestreiftes Leinenhemd, an der Brust offen und nur zusammengehalten von einem leichtgeschwungenen schwarzen Halstuch, die graue Joppe mit dem grünen Aufschlag, der als Dienstzeichen das goldgestickte Eichenlaub trägt, den Bergsack auf dem Rücken und auf dem Kopf den kleinen runden Filzhut mit dem nickenden Gemsbart. Das Gewand des Burschen ist abgetragen und verwittert; die Büchse, die er hinter dem Rücken trägt, ist neu und blank, und die Stahlläufe blitzen in der Sonne. Die nachlässige, vornübergebeugte Haltung des Oberkörpers läßt kaum vermuten, welch kraftvolle und sehnige Gestalt in diesem verblichenen Gewande steckt. Das Gesicht ist sonnverbrannt, ist dunkler als der leichtgekrauste, rötlichblonde Bart, der es umrahmt. Es redet eine stille, gewinnende Sprache; die klaren, lichtblauen Augen sind es, die dem Gesicht diesen freundlichen Ausdruck verleihen. In der einen Faust hält der Jäger den langen Bergstock, während er mit der anderen die Hand einer alten Frau umspannt, die unter der Türe steht. „Pfüet dich Gott, Mutter! In vierzehn Täg bin ich wieder daheim vom Berg. Und sorg dich net!” „Pfüet Gott halt, Friedl! Und gib mir a bißl acht beim Steigen!« „Ja, ja!” (Hinweis: Die Rechtschreibung des Originaltextes wurde beibehalten.) Der 1975 erschienene Roman die liebhaberinnen der steirischen Autorin Elfriede Jelinek karikiert das Genre des Heimatromans aus feministischer Sicht. Die weiblichen Hauptpersonen leben auf dem Land und sind all den Zwängen unterworfen, die ihnen die männerdominierte Gesellschaft auferlegt. Die Ziele der Frauen bleiben Wunschträume, sie können sich nur bedingt über ihre Partner in der Rolle als Ehefrau und Mutter verwirklichen. Kinder werden zu Herzeigeobjekten degradiert, die ebenso zur Identität beitragen wie Waschmaschinen und andere Konsumgüter. Aus diesen traditionellen Mustern auszubrechen, ist den typenhaft gezeichneten Hauptpersonen nicht möglich. Elfriede Jelinek: die liebhaberinnen (1975) am beispiel paula. paula ist vom lande. das landleben hat sie bis jetzt in schach gehalten – ebenso wie ihre schwestern erika und renate, die verheiratet sind. die beiden kann man schon abschreiben, es ist genauso, als ob sie nicht auf der welt wären. mit paula ist das anders, sie ist die jüngste von ihnen und noch richtig auf der welt. sie ist 15 jahre alt. sie ist jetzt alt genug, um sich überlegen zu dürfen, was sie einmal werden möchte: hausfrau oder verkäuferin. verkäuferin oder hausfrau. in ihrem alter sind alle mädchen, 5 10 15 Feministischer Heimatroman 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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