Killinger Literaturkunde, Schülerband

DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 359 importiert, unter ihm arbeiten immer drei frauen und mädchen aus dem dorf und ein lehrmädchen aus dem dorf. die frauen bleiben bis zu ihrer heirat verkäuferin oder hilfsverkäuferin, wenn sie geheiratet worden sind, ist es aus mit dem verkaufen, dann sind sie selbst verkauft, und die nächste verkäuferin darf an ihre stelle rücken und weiterverkaufen, der wechsel geht fliegend vor sich. so ist im laufe der jahre ein natürlicher kreislauf zustandegekommen: geburt und einsteigen und geheiratet werden und wieder aussteigen und die tochter kriegen, die hausfrau oder verkäuferin, meist hausfrau, tochter steigt ein, mutter kratzt ab, tochter wird geheiratet, steigt aus, springt ab vom trittbrett, kriegt selber die nächste tochter, der konsumladen ist die drehscheibe des natürlichen kreislaufs der natur, in seinem obst und gemüse spiegeln sich die jahreszeiten, spiegelt sich das menschl. leben in seinen vielen ausdrucksformen, in seiner einzigen auslagenscheibe spiegeln sich die auf merksamen gesichter seiner verkäuferinnen, die hier zusammengekommen sind, um auf die heirat und das leben zu warten. die heirat kommt aber immer allein, ohne das leben. 81. Bewerten Sie die Darstellung des Landlebens in diesem Textausschnitt und die gesellschaftlichen Rollen, die Frauen und Männern darin zugewiesen werden: • Erlä utern Sie, auf welche Perspektiven sich das Leben auf dem Land in diesem Text beschränkt. • Diskutieren Sie, wie Lebensumstände, in die man hineingeboren wird, den Verlauf des Lebens beeinflussen (können). • Erörtern Sie daraus folgend, wie weit der Einzelne seinen Lebensentwurf umsetzen kann. • Setzen Sie sich mit der sprachlichen Umsetzung der Inhalte in diesem Abschnitt auseinander. Der Durchbruch gelang Elfriede Jelinek 1983 mit dem Roman Die Klavierspielerin, in dem sie Autobiographisches verarbeitet. Jelinek hat den Roman auch als Drehbuch gestaltet, Regisseur des gleichnamigen, berühmt gewordenen Films war Michael Haneke. Ungewöhnliche Interviews und Essays sorgen seither regelmäßig für Irritation. Die Medien zeichnen von ihr ein Bild der provozierenden, tabubrechenden radikalen Feministin. Sie selbst sagt über ihre Arbeitsweise: Eine literarische Technik, die ich verwende, ist die der Montage. Ich erziele in einem Stück verschiedene Sprachebenen, indem ich meinen Figuren Aussagen in den Mund lege, die es schon gibt. Ich bemühe mich nicht um abgerundete Menschen mit Fehlern und Schwächen, sondern um Polemik, starke Kontraste, harte Farben, Schwarz-Weiß-Malerei, eine Art Holzschnitttechnik. Ich schlage sozusagen mit der Axt drein, damit kein Gras mehr wächst, wo meine Figuren hingetreten sind. Elfriede Jelinek erhielt 2004 den Nobelpreis für Literatur auf Grund ihrer eingehenden und tiefschürfenden Sprache, was für die literarische Welt eine Sensation war. Die Menschen haben die Buchhandlungen gestürmt, in kürzester Zeit waren alle ihre Titel vergriffen. Die Salzburger Nachrichten schrieben am 8. Oktober 2004: Es ist ein Preis für eine Ikone der Provokation. Personen, die sich mit ihrer Kunst so unbarmherzig zu Wort melden wie Jelinek – und ebenso unbarmherzigen Widerspruch aushalten müssen –, sind selten geworden. Längst lebt auch die Kunstszene in Zeiten fortschreitenden Verfalls hin zu belangloser, leicht verkäuflicher Unterhaltung. Es ist gut, dass es Standhafte gibt, die sich, wie Jelinek, in bedingungsloser Opposition üben. Noch besser 15 20 25 5 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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