Killinger Literaturkunde, Schulbuch

392 Maja Haderlap (geb. 1961 in Bad Eisenkappel/Železna Kapla) trat zunächst als Autorin von lyrischen Texten in slowenischer Sprache hervor, bis sie den ursprünglich auf Deutsch verfassten Roman Engel des Vergessens (Ingeborg Bachmann Preis 2011) vorlegte. Darin wird die Geschichte ihrer Familie aus der Sicht eines Mädchens, das mit den Auswirkungen und Erzählungen der Vergangenheit konfrontiert ist, erzählt. Die Verfolgung und Missachtung der slowenischsprachigen Bevölkerung in der Nazizeit und die mangelnde Wertschätzung in der Zeit danach sind die bestimmenden Themen. Daneben beschreibt dieser Text jedoch auch die Entwicklung des Mädchens, das mit all dem zurechtkommen muss. Das enge Verhältnis zur Großmutter, die selbst verfolgt wurde und schlussendlich im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert war, steigert die Eindrücklichkeit des Romans. Maja Haderlap: Engel des Vergessens (2011) Am Abend im Bett erzählt Großmutter die Geschichte ihrer Heimkehr zu Ende, wie sie den Hof betreten hat, wie sie endlich nach Haus gekommen ist. Sie habe noch Licht in der Wohnstube gesehen, sei zum Fenster getreten und habe in die Stube geschaut. Ihr Mann sei auf der Ofenbank gesessen und habe über etwas gegrübelt. Er sei gerade dabei gewesen, sich die Schuhe auszuziehen. Einen Schuh habe er schon ausgezogen gehabt und den Fuß auf den Boden gestellt, der andere Schuh war noch angezogen, nur die Schuhbänder seien offen gewesen. Dein Großvater hat ins Leere geblickt, sagt Großmutter, er hat so merkwürdig geschaut, dass ich meinen ganzen Mut zusammennehmen musste, ans Fenster zu klopfen. Großvater habe kurz aufgeblickt, sie aber nicht gesehen. Dann habe sie das Klopfen wiederholt. Er sei langsam aufgestanden und in den Flur getreten. Er habe die Haustür geöffnet und gefragt, wer ist da. Sie habe aus der Dunkelheit geantwortet, willst du mich zurückhaben, erkennst du mich noch? Mitzi, du bist wieder da, habe ihr Mann gerufen und sie so stürmisch umarmt, dass sich ihr Kopftuch gelöst habe und auf den Boden gefallen sei. Slowenische Übersetzung von Štefan Vevar Zvečer v postelji mi babica do konca pove zgodbo svoje vrnitve, kako je stopila na svoje posestvo, kako je naposled prišla domov. V izbi je videla še luč, stopila je k oknu in pogledala noter. Mož je sedel na klopi pri peči in nekaj tuhtal. Ravno si je hotel sezuti čevlje. Enega je že sezul in položil nogo na tla, drugega je imel še na nogi, samo vezalke je imel razvezane. Tvoj dedi je gledal v prazno, reče babica, tako čudno je gledal, da sem morala zbrati ves svoj pogum, da sem potrkala na okno. Dedi je hitro dvignil pogled, a je ni videl. Potem je še enkrat potrkala. Dedi je počasi vstal in stopil v vežo. Odprl je hišna vrata in vprašal, kdo je. Ona pa mu je odgovorila iz teme, me hočeš nazaj, me še poznaš? Mici, ti si, spet doma, je zaklical njen mož in jo tako viharno objel, da se ji je odvezala ruta in padla na tla. 2. Deuten Sie den vorliegenden Abschnitt aus Maja Haderlaps Roman Engel des Vergessens: • Beschreiben Sie die Situation, die hier geschildert wird. • Erlautern Sie die Wirkung der sprachlichen Mittel, die die Ich-Erzahlerin einsetzt, um die Darstellung der Geschehnisse durch ihre Großmutter wiederzugeben. • Stellen Sie Uberlegungen an, was mit diesem Geschehen gezeigt werden soll. Das folgende Gedicht von Jani Oswald (geb. 1957) thematisiert die Identitätsfrage durch seinen auf die konkrete Lyrik verweisenden Ansatz. 5 10 5 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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