407 Wenn du drücken Knopf: Bssst! Knopf drücken, macht bssst! Ja? So funktioniert das! Zuerst sprühen, dann wischen! Ja?“ „Ich verstehe“, sagt Mutter, die in Russland Physik und Mathematik studiert hat. „Ich weiß, wie man mit sowas umgeht. Danke.“ Sie lächelt. „Umso besser! Ja dann: raboti, raboti! Gemma, gemma!“ „Das heißt rabotai, Frau Chefputzfrau.“ „Ach, das ist mir doch egal.“ „Auch gut“, sagt Mutter und lächelt. 15. Interpretieren Sie diesen Textausschnitt: • Beschreiben Sie die Situation der Mutter. • Charakterisieren Sie die „Chefputzfrau“. • Bestimmen Sie die wesentlichen sprachlichen Mittel des Textes und ihre Funktion. • Erschließen Sie, wieso es viele Leute nicht mögen, wenn neben ihnen in einer Fremdsprache gesprochen wird. • Erläutern Sie, wieso andererseits viele Menschen mit Menschen mit anderer Erstsprache als Deutsch grammatisch unkorrekt sprechen. • Erörtern Sie, ob der Text einfach eine Erzählung ist oder ob er auch Kritik übt. • Deuten Sie die Aussage dieses Abschnitts. • Beurteilen Sie, in welcher Weise der Text der „Migrationsliteratur“ zugeordnet werden kann. Anna Kim: Geschichte eines Kindes (2022) Dieser Roman der heute in Wien lebenden Autorin Anna Kim (geb. 1977 in Südkorea) beruht auf einer realen Geschichte. In einer Kleinstadt in den USA bringt 1953 die 20-jährige Carol ein Kind zur Welt, das sie sofort zur Adoption freigibt. Der kleine Daniel (Danny) wird zuerst von Kinderschwestern betreut. Aber das Baby scheint nicht „weiß“ zu sein – ein Skandal in einer den rigorosen Gesetzen der Rassentrennung unterworfenen Gesellschaft. Im folgenden Textausschnitt wohnt die Ich-Erzählerin, eine Autorin aus Österreich namens Franziska, zur Untermiete bei Joan, der Ehefrau des mittlerweile alten, im Krankenhaus liegenden Daniel: Sie wusste, dass ich an einem Roman arbeitete, sie hatte eine Schreibtischlampe für mich vom Speicher geholt, ich erwiderte daher, Schreiben sei einsam, aber, beeilte ich mich hinzuzufügen, vielleicht seien es jene, die die Einsamkeit suchen, die das Schreiben finden. Sie sah mich überrascht an, dann lachte sie, das habe sie nicht gemeint. Sie habe gemeint, es müsse schwierig sein, weit und breit die einzige Asiatin zu sein. In Green Bay seien die meisten ursprünglich aus Europa – Deutschland, Belgien, Polen und Irland. Ihre Großeltern etwa seien aus dem Osten Irlands nach Amerika gekommen. Sie habe immer davon geträumt, die grüne Insel einmal zu besuchen, the Emerald Isle, sie habe gehört, die Gesänge der Irischen See seien unvergesslich. Sie verstummte, und ich dachte schon, wir hätten das Thema abgehakt, als sie sagte: In Österreich leben vermutlich auch nicht viele Asiaten. Ich antwortete, ich sei in Wien geboren, ich fühle mich in etwa so asiatisch wie sie. Sie musterte mich misstrauisch. Das glaube sie mir nicht, rief sie endlich aus, den Wurzeln entkomme man nicht – ich sei doch gemischt, oder? Sie betrachtete mich erneut, kürzer diesmal, und kam zu dem Schluss, dass meine hohen Wangenknochen, die Form meiner Augen (das so genannte Mandelformat) und meiner Nase meine ethnische 60 5 10 15 INTERKULTURELLE LITERATUR Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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