Killinger Literaturkunde, Schulbuch

DEUTSCHE LITERATUR IM KONTEXT DER WELTLITERATUR LÄNGSSCHNITT 410 Der wechselseitige Einfluss der deutschen und der internationalen Literatur war über die Jahrhunderte beträchtlich. Im Mittelalter wurden schon die französischen Versepen im deutschen Sprachraum rezipiert und dienten als Vorlage für große mittelhochdeutsche Epen rund um die Artussage. Die französische Dramentradition mit Pierre Corneille (1606 – 1684), Jean-Baptiste Racine (1639 – 1699) und Molière (Jean-Baptiste Poquelin, 1622 – 1673) wurde im 18. Jahrhundert vielfach diskutiert und imitiert, wurde dann aber im Sturm und Drang zugunsten der englischen Vorbilder um William Shakespeare (1564 – 1616) aufgegeben. Der Briefroman Pamela oder die belohnte Tugend (1740) des englischen Dichters Samuel Richardson (1689 – 1761) begründete das Genre des empfindsamen Romans und wurde auch in Deutschland viel gelesen. Christian Fürchtegott Gellert schrieb bald darauf den ersten deutschen Briefroman Leben der schwedischen Gräfin von G***(1746). Besonderen Erfolg hatte die durch Richardsons Briefroman inspirierte Geschichte des Fräuleins von Sternheim von Sophie von La Roche. Auch auf das deutsche Drama strahlte Richardsons Werk aus, insbesondere auf Lessings bürgerliches Trauerspiel Miss Sara Sampson (1755). Die Dichtungen des schottischen Dichters James Macpherson (1736 – 1796) wurden zunächst für Volksdichtungen gehalten und wurden damit zu Vorbildern für Goethe, Schiller und Herder. Im 19. Jahrhundert beeinflusste die deutsche Romantik die Dichter und Dichterinnen Europas, besonders die britischen Romantiker. Texte des englisch-amerikanischen Autors Edgar Allan Poe (1809 – 1849) etablierten das Genre der Kurzgeschichte und ließen sie zu einer weltweit anerkannten Textsorte werden. Johann Nestroy (1801 – 1862) benutzte französische Konversationsstücke als Vorlagen für seine Komödien, Franz Grillparzer (1791 – 1872) ließ sich von den spanischen Dramatikern inspirieren. Heinrich Heine (1797 – 1856) stand unter dem Eindruck der Dichtungen von Lord Byron (1788 – 1824), Victor Hugo (1802 – 1885) und Charles Baudelaire (1821 – 1867). Der Einfluss der französischen Symbolisten wie Charles Baudelaire, Stéphane Mallarmé (1842 – 1898), Paul Verlaine (1844 – 1896) und Arthur Rimbaud (1854 – 1891) auf die deutsche Literatur prägte besonders die literarische Landschaft des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Deutsche Autoren des Naturalismus und Realismus wie Gerhart Hauptmann (1862 – 1946), Theodor Fontane (1819 – 1898), Arno Holz (1863 – 1929) und Johannes Schlaf (1862 – 1941) rezipierten Schriften des französischen Autors Émile Zola (1840 – 1902). Sie übernahmen seine Methode der genauen Beobachtung, die Beschäftigung mit den Noten der einfachen Menschen und die Verwendung von dokumentarischen Elementen in ihren Werken. Großen Einfluss übten die russischen Erzähler Ivan Turgenjew (1818 – 1883), Leo Tolstoi (1828 – 1910) und Fjodor Dostojewski (1821 – 1881) auf das deutschsprachige Geistesleben aus, insbesondere auf Theodor Fontane und Thomas Mann (1875 – 1955). Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) und die russische Dichterin Marina Zwtajewa (1892 – 1941) tauschten sich in einem poetischen Briefwechsel aus. In stilistischer Hinsicht inspirierte etwa James Joyce (1882 – 1941) mit seiner Bewusstseinsstromtechnik Autoren wie Alfred Döblin (1878 – 1957) oder Thomas Mann. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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