KINDER- UND JUGENDLITERATUR 421 um die Brust geschlungen, als wollte er sich wenigstens auf diese Weise etwas wärmen. So starrte er zu ihrem Haus herüber. Ich muss Mo wecken!, dachte Meggie. Aber sie blieb sitzen, mit klopfendem Herzen, und starrte weiter hinaus in die Nacht, als hätte der Fremde sie angesteckt mit seiner Reglosigkeit. Plötzlich drehte er den Kopf und Meggie schien es, als blickte er ihr direkt in die Augen. Sie rutschte so hastig aus dem Bett, dass das aufgeschlagene Buch zu Boden fiel. Barfuß lief sie los, hinaus auf den dunklen Flur. In dem alten Haus war es kühl, obwohl es schon Ende Mai war. In Mos Zimmer brannte noch Licht. Er war oft bis tief in die Nacht wach und las. Die Bücherleidenschaft hatte Meggie von ihm geerbt. Wenn sie sich nach einem schlimmen Traum zu ihm flüchtete, ließ sie nichts besser einschlafen als Mos ruhiger Atem neben sich und das Umblättern der Seiten. Nichts verscheuchte böse Träume schneller als das Rascheln von bedrucktem Papier. Aber die Gestalt vor dem Haus war kein Traum. 9. Untersuchen Sie die inhaltliche und sprachliche Gestaltung dieses Abschnitts: • Beschreiben Sie, mit welchen inhaltlichen Aspekten es der Autorin gelingt, eine geheimnisvolle Atmosphäre zu erzeugen. • Erläutern Sie, wie diese Intention der Autorin (z.B. durch die Wortwahl) sprachlich umgesetzt wird. • Analysieren Sie die Erzählposition dieses Abschnitts. Louis Sachar: Löcher (1998) Dieser Roman des US- amerikanischen Autors Louis Sachar (geb. 1954) gehört zu jenen Jugendbüchern, die in einer dystopischen Welt spielen und vor zukünftigen negativen Entwicklungen warnen sollen. Jetzt fragt sich der Leser vermutlich: Aus welchem Grund sollte irgendjemand auf die Idee verfallen, nach Camp Green Lake zu kommen? Die Antwort ist: Die meisten Bewohner hatten gar keine andere Wahl. Camp Green Lake ist eine Anstalt für schwere Jungs. Nimm einen von ihnen und lass ihn Tag für Tag in brütender Hitze ein Loch graben, und du kannst sicher sein, dass ein guter Junge aus ihm wird. Jedenfalls glaubten das einige Leute. Stanley Yelnats hatte sogar die freie Wahl. Der Richter sagte: „Du kannst es dir aussuchen – entweder du gehst ins Gefängnis oder du kommst nach Camp Green Lake.“ Stanley kam aus einer armen Familie. Er war noch nie im Leben in einem Feriencamp gewesen. […] Stanley Yelnats war der einzige Fahrgast im Bus, wenn man den Fahrer und den Wachmann nicht mitrechnete. Der Wachmann saß neben dem Fahrer auf einem umgedrehten Sitz, so dass er Stanley im Blick hatte. Auf seinen Knien lag ein Gewehr. Stanley saß ungefähr zehn Reihen weiter hinten und war mit Handschellen an einer Arm lehne festgekettet. Auf dem Sitz neben ihm lag sein Rucksack. Darin waren seine Zahnbürste, Zahnpasta und eine Schachtel mit Briefpapier, die seine Mutter ihm geschenkt hatte. Er hatte ihr versprochen, wenigstens einmal die Woche zu schreiben. 30 35 40 5 10 15 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==