Killinger Literaturkunde, Schulbuch

UNTERHALTUNGS- UND TRIVIALLITERATUR LÄNGSSCHNITT 427 In seiner Lesepropädeutik1 (1799) notiert der deutsche Philosoph und Übersetzer Johann Adam Bergk (1769 – 1834): „Ein Buch lesen, um bloß die Zeit zu tödten, ist Hochverrath an der Menschheit, weil man ein Mittel erniedrigt, das zur Erreichung höherer Zwecke bestimmt ist und ein Geschenk mißbraucht, das man uns zu edlern Absichten gab.“ 1. S etzen Sie sich mit diesem Zitat von Bergk auseinander: • Erlautern Sie, welchen Zweck er dem Lesen bzw. dem Buch zugedacht hat. • Unterscheiden Sie, welche Literatur in seinen Augen „gute“, welche „schlechte“ ist. • Nehmen Sie Stellung zu dieser Aussage. 2. Besprechen Sie in der Gruppe, was Jugendliche heute lesen und welche Themen fur sie heute interessant sind. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stand die Unterhaltungsliteratur in voller Blüte. Es gab vor allem sentimentale Liebesromane und Abenteuerromane. Solche Bücher hatten schon damals eine weit größere Leserschaft als die so genannte hohe Literatur. Die Räubergeschichte Rinaldo Rinaldini beispielsweise verhalf Christian Vulpius zu einer Popularität, die jene seines Schwagers Goethe übertraf. Der Durchbruch zur Massenunterhaltung gelang der Literatur jedoch erst nach 1830 in Form des Zeitungsromans. Pariser Verleger gestalteten damals das Pressewesen grundlegend um: Sie senkten den Preis für ein Zeitungsabonnement (es gab noch keinen täglichen Stückverkauf) um die Hälfte und nahmen zum finanziellen Ausgleich bezahlte Anzeigen und Werbeinserate auf. Vor allem aber boten sie als „Feuilleton“ einen Roman in Fortsetzungen, der bald die politischen Nachrichten von der Titelseite verdrängte. Die neue Form des Zeitungsromans (roman-feuilleton) vervielfachte das Leserpublikum, sodass die Verleger hohe Gewinne erzielten und die erfolgreichen Autorinnen und Autoren sich immer teurer verkauften; so z. B. Alexandre Dumas (1802 – 1870) mit seinen Erfolgsromanen Der Graf von Monte Christo (1845/46) und Die drei Musketiere (1849) und Eugène Sue (1804 – 1857), dessen Geheimnisse von Paris (1851) nicht nur die Damen der guten Gesellschaft, sondern auch die Näherinnen und Lehrlinge faszinierten. Der Produktion eines Kapitels folgte sofort die Veröffentlichung, sodass die Autorinnen und Autoren oft selbst nicht wussten, wie die Handlung weiterlaufen und enden würde. Es entwickelte sich für den Zeitungsroman eine neue Bauform: Der tägliche Beitrag musste so gestaltet sein, dass er einen in sich geschlossenen Teil bildete, der den dafür vorgesehenen Raum genau ausfüllte und durch immer neue Gefährdungen der Hauptfigur die Leserinnen und Leser in Spannung hielt. Der zeitliche Druck und die große Nachfrage zwangen dazu, Romane zu standardisieren, d. h. 1 Propädeutik: wissenschaftliche Einführung in ein Fachgebiet Fortsetzungsroman Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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