Killinger Literaturkunde, Schulbuch

432 Seit Heinrich von Kleist ist an Unterhaltungs- und Trivialliteratur viel Kritik geübt worden. Man hat sie als sprachlich minderwertig abgeurteilt: als zu primitiv im Stil oder zu überladen. Man hat ihre Inhalte als unwirkliche Traumwelt abgetan, die ihre Leserinnen und Leser der Realität des Lebens entfremdet. Man hat sie als Betrug an der ungebildeten Masse bezeichnet, die glaubt, sich die bürgerliche Bildung anzueignen, während sie nur Kitsch- und Pseudoliteratur aufnimmt. Man hat die Unterhaltungs- und Trivialliteratur ideologiekritisch untersucht und behauptet, sie stelle den Versuch des bürgerlichkapitalistischen Wirtschaftssystems dar, in den Massen ein falsches Bewusstsein zu erzeugen und (wie eine Drogensucht) zu nähren, ein Bewusstsein, das die Menschen von der Kritik an den sozialen und politischen Missständen abhält. Geblieben ist trotz der Kritik mit den unterschiedlichsten Argumenten das ungebrochene, unbereute Vergnügen am trivialen Liebesroman und am Krimi. Der Salzburger Autor Wolf Haas (geb. 1960) wurde bekannt durch seine „Brenner“-Kriminalromane, die zwar auch unterhalten wollen, aber nicht den Zwängen der industriell gefertigten Trivialliteratur unterworfen sind. Der typische Stil der „Brenner“-Romane ergibt sich aus dem Einsatz des Ich-Erzählers, der die Geschichten in österreichischem Sprachduktus erzählt. Dadurch erscheint er der Leserin oder dem Leser als ebenbürtig und besonders bodenständig. Interessanterweise wirkt er beim Erzählen oft überrascht oder verblüfft, obwohl er gegenüber der Leserin bzw. dem Leser einen Informationsvorsprung haben müsste. Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott (2011) Schau dir zum Beispiel den Chauffeur vom Kressdorf an. Also von dem bekannten Bauunternehmer, du kennst sicher die Lastwägen mit der grünen Aufschrift KREBA, sprich Kressdorf Bau. Die haben viel in München gebaut, zum Beispiel das das das. Und jetzt bei uns das Riesenland. Aber mir geht es nicht um den Kressdorf. Sondern um seinen Chauffeur. Weil so ein Kressdorf, der hat natürlich seinen Chauffeur, klare Sache, der kann nicht alles selber fahren. Vor allem, seit er wieder verheiratet ist, die junge Gattin in Wien, der KREBA-Firmensitz in München, dann ein zweijähriges Kind, treffen sie sich am einfachsten in der Mitte, sprich Kitzbühel. Weil in Kitzbühel natürlich die Geschäfte, die Kontakte, ja was glaubst du. Für ein Kind kann das auch nicht gut sein, immer das Hin und Her, und ich glaube, die Tochter vom Kressdorf hat die Autobahn schon für ihr Spielzimmer gehalten. Aber ich muss zugeben, das ist einmal ein nettes Kind gewesen. Nicht wie heute die Kinder allgemein, also kein Bitte, kein Danke, kein Grüßgott, kein Aufwiedersehen. Andererseits ist es ein Glück, Filmplakat des von Josef Murnberger verfilmten Buchs Das ewige Leben (2015), in dem Josef Hader die Rolle des Brenner spielte. Der Brenner 5 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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