22. Alltag und Propaganda im Ersten Weltkrieg (Feldpostkarten) Feldpostkarten beziehen sich auf historische Personen oder Ereignisse. Sie versuchen mit spezifischen Mitteln und Formen, die Vergangenheit darzustellen. Es ist wichtig, diese Darstellungen kritisch zu hinterfragen. Mit Hilfe von Analysen, die sich auf die typischen Elemente von Feldpostkarten, den Entstehungskontext, die sprachlichen und bildnerischen Inhalte, die Absichten und die möglichen Bewertungen beziehen, können Feldpostkarten dekonstruiert werden. Alltag und Propaganda im Ersten Weltkrieg Der Erste Weltkrieg wird häufig als erster „totaler Krieg“ der Geschichte bezeichnet. Damit meint man, dass nicht mehr nur die Soldaten massiv von den Auswirkungen des Krieges betroffen waren, sondern jeder Mensch in den kriegführenden Staaten, also auch Frauen, Kinder und ältere Menschen. Die Regierungen versuchten bei der Zivilbevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass der militärische Sieg wesentlich davon abhinge, wie pflichtbewusst sie kriegsbedingte Arbeiten verrichteten. Im Laufe des Krieges wurde die Produktion von Rüstungsmaterial immer mehr angekurbelt. Deshalb führte man eine staatliche Wirtschaftslenkung (Zwangswirtschaft) ein. In den Industriebetrieben wurde teilweise über 100 Stunden pro Woche gearbeitet. Damit wollte man den Materialbedarf der Front sicherstellen. Frauen verrichteten nun verstärkt Arbeit in Rüstungsbetrieben. Um die katastrophale Ernährungslage zu verbessern, rief man die Menschen zur intensiven Nutzung heimischer Naturprodukte auf. Frauen und Kinder sollten Blätter, Eicheln, Beeren und Früchte sammeln. Damit wurden Lebensmittel „gestreckt“ und Ersatzprodukte entwickelt. Kinder halfen auch bei Material-Sammlungen: Immer wieder gab es Aufrufe, Gegenstände aus Materialien, welche für die Rüstungsproduktion wertvoll waren, an Sammelstellen abzugeben. Viele Menschen, vor allem Frauen, kamen diesen Aufforderungen nach und spendeten Schmuck und Gegenstände aus Gold, Silber, Aluminium und anderen wertvollen Rohstoffen. Immer wieder appellierten staatliche Stellen an die Opferbereitschaft der Zivilbevölkerung. Durch politische Propaganda sollten patriotische Gefühle, Kriegsbegeisterung sowie Sieges- und Durchhaltewillen entfacht werden. Neben Plakaten, Flugblättern und Zeitungsberichten wurden nun auch Kriegswochenschauen und Propagandafilme genutzt. Ein Massenmedium dieser Zeit waren Feldpostkarten. Man versteht darunter Karten mit Bildmotiven und Sprüchen, welche Soldaten während des Krieges an Verwandte und Freunde sandten. Diese Karten erfreuten sich großer Beliebtheit – allein Soldaten der österreichisch-ungarischen Monarchie verschickten monatlich etwa 50 Millionen Feldpostkarten. Sie enthalten unterschiedliche Inhalte: Manche zeigen Schlachtszenen, sie thematisieren den Heldenmut und die Tapferkeit der eigenen Truppen. Realistische Darstellungen der grauenhaften Fronterlebnisse werden aber vermieden. Einige Feldpostkarten zeigen gefühlvolle Szenen, welche die Sehnsucht der Soldaten nach ihren Angehörigen ausdrücken sollen. Es gibt auch Feldpostkarten, welche die Kriegsgegner auf eine hetzerische, aggressiv anmutende Weise darstellen, häufig mit den Mitteln der Karikatur. Feldpostkarten wurden von staatlichen Stellen, aber auch von privaten Verlagen und von Vereinen herausgebracht, die durch ihren Verkauf Geld für Kriegsopfer sammelten. Feldpostkarte 1 zeigt einen offenbar verwundeten Soldaten, den Kopf eingebunden, der im Gras liegt und anscheinend an seine Lieben denkt. Text: „Die Sonne sank im Westen. / Und wird sie nicht geführet /Vom And'ren zum Altar,/ Soll sie an den noch denken, / Der einst getreu ihr war!“ (Foto, 1915) 146 Kompetenztraining Historische Methodenkompetenz Gattungsspezifik von Darstellungen der Vergangenheit (z.B. Spielfilm, Comic, Roman, Internetseite) erkennen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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