Zeitbilder 6, Schulbuch

reichen Wissenschafterinnen und Wissenschafter sowie Künstlerinnen und Künstler zu schüren. Lueger nutzte diese antisemitischen Tendenzen in Teilen der Bevölkerung und machte Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung. Seine Angriffe richteten sich neben Juden auch gegen die Kapitalisten und gegen die Sozialisten. Dieser Antisemitismus, sein Antiliberalismus und Antisozialismus machten Lueger sehr populär: L Der neue Bürgermeister bewährte sich glänzend, er sicherte, nachdem er unzulängliche Einrichtungen suspekter Privatfirmen in den Besitz der Gemeinde übernahm, die Versorgung der Stadt mit Gas, elektrischem Strom und Trinkwasser, verbesserte den öffentlichen Verkehr, in erster Linie den Tramwaybetrieb, ließ Schulen, Spitäler, Altersheime, darunter das „Versorgungshaus Lainz“, bauen, Grünflächen und Grüngürtel in großem Umfang pflanzen, die Müllabfuhr und die Straßenreinigung neu organisieren und die nächtliche Straßenbeleuchtung erheblich verstärken. Bescheiden war Karl Lueger allerdings nicht, er führte in Wien den Brauch ein, die neuen Projekte mit dem in Marmor gemeißelten Namen des Bürgermeisters zu zieren, er errichtete auf dem Wiener Zentralfriedhof eine „kleine Kapuzinergruft“, die Bürgermeistergruft in der Dr. Karl Lueger Gedächtniskirche. (Vajda, Felix Austria, 1980, S. 535 f.) Arbeite heraus, welche politischen Maßnahmen Luegers in dieser Literaturstelle dargestellt werden. 1907 wurden die Christlichsozialen zur stärksten Fraktion im Reichsrat. Von nun an verwandelte sie sich immer mehr in eine – konservativ eingestellte – Interessenvertretung der Wirtschaftstreibenden und Bauern. Nach Luegers Tod gaben viele Anhänger der Christlichsozialen in Wien bei den Reichsratswahlen 1911 den Sozialdemokraten ihre Stimme. Seither blieb Wien eine Hochburg der Sozialdemokratie. Wilhelm Gause (1853–1916), Lueger in seiner Kutsche beim „Ball der Stadt Wien“ im Jahr 1904. Gemälde, 1904. Bürgermeister Karl Lueger, hier beim Praterkorso, war vor allem der politische Praktiker der Christlichsozialen Partei. Gewerkschaften, Vereine, Genossenschaften Durch die Industrialisierung wurde die Bevölkerung in sozialer Hinsicht stärker differenziert. Daher wurden auch Forderungen nach einer (stärkeren) Vertretung der einzelnen Berufsgruppen oder „Klassen“ gegenüber dem Staat und der Gesamtgesellschaft immer lauter. Auch nach der Gewährung der Vereinsfreiheit (1867) blieben die Vereine weiterhin unter staatlicher Aufsicht. Dies galt besonders für die Arbeitervereine, denen häufig eine staatsgefährdende Agitation unterstellt wurde. Trotz der Unterdrückung durch Behörden gab es schon zu Beginn der Siebzigerjahre des 19. Jh. in Österreich über 100 Fachvereine (Gewerkschaften). Der Aufstieg der Gewerkschaftsorganisationen war mit der Entwicklung der Sozialdemokratie zur Massenpartei verbunden. Auch ihre Ziele deckten sich weitgehend. 1893 konnte schließlich ein erster gesamtösterreichischer Gewerkschaftstag abgehalten werden. Neben den sozialdemokratischen wurden auch christliche Arbeitervereine gegründet. Ein Beispiel ist der von Leopold Kunschak 1892 ins Leben gerufene christlichsoziale Arbeiterverein. Diese Vereinigungen konnten jedoch nur einen kleinen Teil der Arbeiterschaft erfassen. Ihre Mitglieder entstammten vor allem dem kleingewerblichen Bereich. Im Jahre 1908 waren in Österreich etwa 447000 Arbeiterinnen und Arbeiter sozialdemokratisch und etwa 84 000 christlich organisiert. In den Industrieorten kam es zur Gründung von Konsumgenossenschaften. Diese sollten die Menschen aus dem Truck-System der Fabriken (Bezahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Waren anstelle des Barlohns) befreien. In den Konsum-Geschäften konnten sie auch günstiger einkaufen. Auch die Selbstständigen schlossen sich in zahlreichen freien Vereinigungen (d. h. ohne Zwangsmitgliedschaft), z. B. in Gewerbevereinen, zusammen. Ihre Aufgaben sahen diese Vereine hauptsächlich in der Erweiterung der fachlichen Bildung der Mitglieder, in der gegenseitigen Information, in der Interessenvertretung dem Gesetzgeber gegenüber. Als Hilfsorganisationen für das Kleingewerbe schuf man gewerbliche Hilfskassen und Kreditgenossenschaften („Volksbanken“). In der Landwirtschaft organisierten sich die Grundbesitzer in eigenen Vereinigungen (Bauernvereine, Bauernbünde). Diese nahmen vor allem in den Landtagen ihre Interessen wahr. Um die Kreditnot der Bäuerinnen und Bauern zu mildern, wurden Kreditgenossenschaften (z. B. Raiffeisenkassen) errichtet. Zur gemeinsamen Vermarktung ihrer Produkte schufen die Bauern Wein-, Milch-, Molkerei- und Lagerhausgenossenschaften. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Erkläre die Unterschiede zwischen „Honoratiorenpartei“ und „Massenpartei“. 2. Beschreibe die drei politischen Parteien Österreichs am Ende des 19. Jh. nach folgenden Kriterien: Anhängerschaft, politische Inhalte und Ziele, Bedeutung, wichtige Politiker etc. Österreich vom Aufgeklärten Absolutismus bis zum Ende der Monarchie 173 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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