18. Die Stadt – eine neue Kraft im Mittelalter Die Menschen im frühen Mittelalter fanden die Stadt als Erbe der Antike vor. Da die Lebensweise der Germanen und Slawen aber nicht städtisch ausgerichtet war, wussten sie mit diesem Erbe zunächst nicht viel anzufangen. Sie ließen daher diese Städte – z. B. im Frankenreich – verfallen. Es war hauptsächlich die Kirche, welche Reste der spätantiken Urbanität in das Mittelalter hinüberrettete. Seit der Mitte des 12. Jh. begannen die deutschen Könige mit einer umfassenden Förderung der Städte. In vielen Teilen Europas vollzog sich in jener Zeit ein wirtschaftlicher und politischer Aufstieg. So war König Rudolf von Habsburg ein König der Städte: L 28 % der von ihm überlieferten Urkunden wurden für Städte ausgestellt. Städte waren auch seine wichtigsten Aufenthaltsorte und erbrachten die bedeutendsten finanziellen Leistungen, auf die er Anspruch hatte. (Boockmann, Stauferzeit und spätes Mittelalter, 1987, S. 186) Entstehung und Entwicklung der mittelalterlichen Stadt Doch die Entwicklung war von Land zu Land verschieden. Im 12. und 13. Jh. vollzog sich in vielen Teilen Europas der Aufstieg der Städte. Die ersten städtischen Gemeinwesen, die große wirtschaftliche und politische Bedeutung erlangten, waren jene in Oberitalien und Flandern. In Mittel- und Osteuropa machte sich der Einfluss der Städte erst später bemerkbar. Erst als mit den Kreuzzügen der Handel zunahm, blühten auch hier viele Städte wieder auf. Neue Städte wurden als Handels- und Wirtschaftszentren an besonders geeigneten Plätzen gegründet: an Flussübergängen und Straßenkreuzungen, in der Nähe von Flussmündungen, bei Bischofssitzen, Burgen und Klöstern. Die mittelalterliche Stadt wurde stark befestigt. Sie war von einem Graben und einer Mauer umgeben und bildete inmitten der feudalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auch eine verwaltungsmäßige, rechtliche und wirtschaftliche Einheit mit eigenen Gesetzen (Selbstverwaltung). Die Mauer, eigene Gerichtsbarkeit sowie Marktrecht und städtische Selbstverwaltung bildeten die wesentlichen Merkmale einer mittelalterlichen Stadt. Ihre Rechtsstellung war sehr unterschiedlich. So gab es im Deutschen Reich Städte, die unmittelbar dem König unterstanden (z.B. Augsburg, Regensburg, Köln, Bremen, Lübeck). Das waren „reichsfreie“ bzw. „reichsunmittelbare“ Städte. Andere Städte hatten einen Fürsten, Bischof oder Abt zum Herrn („landesfürstliche“ Städte, z. B. Salzburg). Die Bevölkerungszahl soll in diesen Städten im 14. Jh. in der Regel nicht mehr als einige wenige tausend Menschen betragen haben. In den größten Städten Europas, wie Paris, Venedig oder Genua, lebten damals an die 80 000 Menschen. Zeitgleich wird die Zahl der Bevölkerung von Tenochtitlan, der Hauptstadt des Atztekenreiches in Mittelamerika, auf mehr als 300 000 geschätzt. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Städte Die in den Städten lebenden Menschen wurden, wenn sie Haus und Grund in der Stadt besaßen, seit dem Ende des 11. Jh. Bürger genannt. Sie waren hauptsächlich Kaufleute sowie Handwerkerinnen und Handwerker. Auch Frauen konnten in manchen Städten das Bürgerrecht erwerben. Die Stadtbevölkerung unterschied sich von der Masse der Landbevölkerung nicht nur durch ihren Beruf, sondern auch durch ihre Rechtsstellung: Bürgerinnen und Bürger waren persönlich frei. Sie gehörten einem besonderen Stand an, der sich von den übrigen Gruppen der Gesellschaft deutlich abhob. QWenn jemand in die Stadt kommt, um hier zu bleiben, und bleibt ein Jahr und einen Tag, ohne dass ihn ein Herr zurückfordert, so soll danach niemand ihn mehr zurückfordern können. (Hildesheim, 1249. Zit. nach: Schmieder, Die mittelalterliche Stadt, 2005, S. 78) Tagelöhner, Dienstleute, Arme, Bettler und Juden zählte man in der Regel nicht zu Vollbürgern. Viele dieser Menschen waren aus dem Umland eingewandert, ihren Grundherren entlaufen. Gerade diese Unterschichten prägten das Straßenbild der Städte, denn die reichen Leute traten wohl nur bei feierlichen Anlässen in größerer Zahl öffentlich in Erscheinung. Während die Armen sich zu Fuß durch die schmutzigen Straßen drängten, legten die Vornehmen auch nur kurze Strecken zu Pferd zurück. Da es zu wenig Armenfürsorge gab, umlagerten Bettlerinnen und Bettler ständig die Kirchen, den Markt und die Häuser der Reichen. Das Markt- und Stadtrecht QAus dem Wiener Stadtrecht: Schlägt ein Bürger einem anderen Hand oder Fuß, Auge, Nase oder ein anderes Glied ab, so hat er dem Richter 10 Talente und dem Verwundeten ebenso viel zu bezahlen. Hat er kein Geld, so büßt er Glied um Glied. Der Bürger, in dessen Haus Feuer entsteht, sodass die Flammen zum Dach hinausschlagen, zahlt dem Richter 1 Talent Strafe. Aus den angesehensten und verständigsten Bürgern der Stadt sollen 24 gewählt werden, die in Eid zu nehmen sind und bei jedem öffentlichen Kauf oder Verkauf wenigstens durch zwei Mitglieder vertreten sein sollen. (Nach Zenz, Geschichte aktuell 2, 1981) Eines der wichtigsten Rechte einer mittelalterlichen Stadt war das Recht, Märkte abzuhalten. Dieses Marktrecht wurde ihr vom Stadtherrn verliehen. Es wurde zur Grundlage des Stadtrechtes, in welchem der Stadtherr den Bürgern nicht selten weitgehende Selbstverwaltung zugestand. Die ältesten Stadtrechte in Österreich wurden Enns (1212) und Wien (1221) verliehen. 102 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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