L Erstens erinnern sich die meisten Menschen an das KGB nicht als ein Terrorinstrument, sondern als eine Überwachungsbehörde. Zweitens ging der Versuch Gorbatschows, die sowjetische Gesellschaft zu demokratisieren, mit einem ungeheuren Wohlstandsverlust einher. Die Armut spottete jeder Beschreibung. Unter diesen Umständen klang die Versicherung der Elite, die Bürger dürften nun alle vier Jahre wählen, nur noch wie Hohn. Drittens zerfielen die staatlichen Institutionen. 1993 kamen in Russland bei Bandenkriegen 30.000 Menschen ums Leben. Die Menschen machten die Erfahrung, dass nur vorankam, wer sich mit Gewalt nahm, was er wollte. Viertens zerfiel 1991 das Imperium, es wurde von oben aufgelöst. Man liebt Putin ja nicht, aber er hat die Ordnungssicherheit wiederhergestellt. (Baberowski. In: Neue Zürcher Zeitung, 2.12.2017, S. 29) Eine weitere wichtige Stütze bildet für Putin und seine Regierung die russisch-orthodoxe Kirche. Laut Putin ist sie „die geistige Stütze unseres Volkes und unserer Staatlichkeit“. Im Laufe seiner Präsidentschaft regieren Putin und seine Partei zunehmend autoritär. Die Journalistin Sonia Mikich analysierte diese Entwicklung im Vorwort zum Buch der 2006 ermordeten Regimekritikerin Anna Politkovskaja so: L Während wir im Westen an unsere Energieversorgung dachten, fand – kaum berichtet, kaum kritisiert – eine atemberaubende Durchsetzung von Staat und Gesellschaft mit Geheimdienstlern und Militärs statt. Sie geben in Politik und Wirtschaft den Ton an. Die Kraftzentren im neuen Russland sind der Kreml und der mit ihm eng verbundene staatliche Gasmonopolist Gasprom. Bevölkert ist dieses Geflecht von Politikern und Oligarchen, die Putin verpflichtet sind. Wie Marionetten hängen das Parlament, die Justiz und die Medien, die einstigen Kontrollinstanzen, von diesen Kraftzentren ab. (Mikich. In: Politkovskaja, Russisches Tagebuch, 2007, S. 6) Russlands neue Außenpolitik Laut dem Historiker Rödder beklagte Präsident Wladimir Putin 2005 den Untergang des sowjetischen Imperiums als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. In der Folge bemühte er sich durch seine Politik um die Wiederherstellung Russlands als Großmacht. Zunächst unterstützte Putin 2008 Autonomiebestrebungen von einzelnen georgischen Provinzen. Mit militärischer Gewalt zwang er den Staat Georgien zum Rückzug. Von der Maidan-Revolution zur Krim-Annexion Neben den Regionen des Kaukasus wurde die Ukraine ab 2013 zu einem zweiten Konfliktfeld. Erste Auseinandersetzungen begannen im November 2013 mit Protesten gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch („Euromaidan-Proteste“). Dieser weigerte sich nämlich auf Druck des russischen Präsidenten Putin, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Im Laufe der folgenden Monate schlugen die Proteste in eine Revolution mit zahlreichen Toten um („Revolution der Würde“; Plokhy, Der Angriff, 2023, S. 137 ff.). Sie führte zum Sturz von Janukowitsch. Die neue Regierung in Kyjiw strebte weiterhin eine wirtschaftliche Bindung an die EU sowie eine Einbindung in die NATO an. Dagegen wollte eine prorussische Unabhängigkeitsbewegung die Abspaltung der Ostukraine. Sie wurde dabei von Russland unterstützt. Zur selben Zeit (Februar 2014) besetzten russische Spezialeinheiten die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim. Diese annektierte Russland trotz einer international nicht anerkannten Abstimmung. Sie ist als Stützpunkt der Schwarzmeerflotte für Russland von größter strategischer Bedeutung. Russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine Im Osten der Ukraine kämpften zwischen 2014 und 2022 prorussische Separatisten gegen reguläre Truppen der Ukraine. Die Separatisten wurden durch russische Söldner, teilweise auch durch reguläre russische Streitkräfte, unterstützt. Trotz zweier Abkommen, die neben Russland und der Ukraine auch von Deutschland und Frankreich unterzeichnet wurden („Minsker Abkommen“, 2014/15), kam es weder zu einem Waffenstillstand noch zu einem Friedensschluss. Dieser hätte die ursprüngliche Grenze der Ukraine (allerdings ohne Krim) vorgesehen mit einer weitgehenden Autonomie der östlichen Provinzen Luhansk und Donezk. Im Februar 2022 begann Russland den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach verlustreichen Kämpfen auf beiden Seiten dürfte Russland im Jahr 2025 militärisch im Vorteil sein. Unter der neuen Regierung in den USA (Trump II) scheint eine Verhandlungslösung zur Beendigung des Krieges möglich. Plakat Putins vor seiner Wiederwahl im März 2018 mit dem Slogan „Ein starker Präsident – ein starkes Russland!“. Foto, 18.1.2018. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beschreibe den Übergang von der Sowjetunion zu Russland. Beziehe dazu auch die Karte (S. 252) ein. 2. Arbeite wesentliche Änderungen in der politischen Entwicklung Russlands von Jelzin zu Putin heraus. Beziehe dabei die Ausführungen zum außenpolitischen Kurs beider Präsidenten mit ein. 3. Erläutere wesentliche Merkmale der Innenpolitik Putins anhand der Aussagen von Mikich und Baberowski. Arbeite dabei heraus, worauf sich Putins Regierung besonders stützt. Diskutiert Möglichkeiten und Grenzen einer demokratischen Opposition. Internationale Politik der Gegenwart 101 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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