Doch schon seit 2014, vor allem seit der widerrechtlichen Besetzung der Halbinsel Krim durch Russland, wurde die Ukraine zum zentralen geopolitischen Konfliktfeld der USA, der europäischen NATO-Partner und Russland. Der Krieg gegen den Irak (2003) führte zur bisher schwersten inneren Krise des Bündnisses: Deutschland und Frankreich lehnten US-amerikanische und britische Bestrebungen nach einer gemeinsamen militärischen Intervention ab. Sie nahmen nicht am Krieg gegen den Irak teil. Demgegenüber schlossen sich die Staaten der ersten NATO-Osterweiterung (Polen, Tschechien, Ungarn) der kriegerischen Intervention an. Eine neue Sicherheitslage in Europa und die Erwartungen der baltischen Staaten Eine spezielle Unterstützung seitens der NATO erwarten die 2004 beigetretenen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Dazu heißt es im Leitartikel der Neuen Zürcher Zeitung vom 13.1.2018 folgendermaßen: L Engagierte sich die Nato in den letzten 25 Jahren außerhalb des Bündnisgebiets, steht seit der Annexion der Krim durch Moskau wieder das Kerngeschäft im Zentrum: die Sicherheitsgarantie für alle Mitglieder. Das gilt besonders für die baltischen Staaten. (…) Russland und sein Verbündeter Weißrussland umschließen nicht nur fast völlig das Baltikum, die russische Armee ist auch bei Artillerie, Panzern, Marine, Flugzeugen und Flugabwehr allem haushoch überlegen, was die Nato dort auf die Schnelle einsetzen kann. (…) Die Nato-Kräfte sind zwar insgesamt erheblich stärker als die russischen Truppen, aber erst nach einer Vorlaufzeit und nicht an dieser Nahtstelle von Ost und West. Die Verletzlichkeit des Baltikums ist ein politisches Pfand, von dem Moskau selbstbewusst Gebrauch macht. (…) Die Nato muss im Jahr 2018 beweisen, dass sie es mit dem Schutz der baltischen Staaten und damit der militärischen Beistandsverpflichtung insgesamt ernst meint. (…) (Gujer, Die militärische Logik ist zurück in Europa. Kommentar. In: Neue Zürcher Zeitung, 12.1.2018. Online auf: https://www.nzz.ch/meinung/ kommentare/die-militaerische-logik-ist-zurueck-in-europa-ld.1346778, 2. 2. 2018) Aus russischer Sicht bedeutet die Osterweiterung der NATO, dass das transatlantische Verteidigungsbündnis beinahe überall direkt an die Grenzen Russlands herangerückt ist. Diese Tatsache wird von Russland als besondere Bedrohung wahrgenommen. Darüber hinaus schuf der Krieg in der Ukraine in Europa eine neue sicherheitspolitische Situation. Russland und die europäischen NATO-Verbündeten befinden sich nun in einem gefährlichen Gegenüber. Die USA drohen in dieser Situation (2025), ihre bisherigen Unterstützungen für Europa zurückzunehmen – z.B. von der Raketenabwehr bis hin zur nuklearen Abschreckung. Diese müssten die Europäer künftig selbst bereitstellen. Sie fordern außerdem eine massive Steigerung der Rüstungsausgaben ihrer europäischen Partner – von bis zu fünf Prozent der Wirtschaftsleistung. Überdies veranschlagte z. B. Deutschland im Jahr 2022 ein „Sondervermögen Bundeswehr“ in der Höhe von 100 Mrd. Euro. Diese sind für eine neue Ausrichtung der verteidigungspolitischen Strategien in Deutschland und Europa vorgesehen. Weiters hat die EU-Kommission im Jahr 2025 Verteidigungskredite an 19 EU-Länder in der Höhe von 150 Mrd. Euro angekündigt. Ein Sicherheitsnetz – von der KSZE zur OSZE Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) tagte 1973 bis 1975 in Helsinki. Sie sollte einen geregelten Dialog zwischen Ost und West in Europa ermöglichen – z. B. Verzicht auf die Androhung von Gewalt durch die europäischen Staaten, die Anerkennung der bestehenden Grenzen, Achtung der Menschenrechte und Selbstbestimmung der Völker. Aufgrund des tiefgreifenden Wandels in Europa seit 1989 (vgl. S. 96ff.) musste sich die KSZE neue Schwerpunkte setzen. Aus der Konferenz wurde 1995 eine Organisation mit festen Institutionen, die nunmehrige OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Sie hat ihren Sitz in Wien. Sie umfasst nicht mehr nur die europäischen Länder. Zu den derzeit 57 Mitgliedstaaten zählen nun auch die USA, Kanada sowie die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die teilweise in Europa, teilweise in Zentralasien liegen. Die Ziele der OSZE bestehen vorrangig darin, Sicherheit und Stabilität in ganz Europa zu fördern. Eine europäische „Sicherheitsarchitektur für das 21. Jahrhundert“ soll vor allem durch vertrauensbildende Maßnahmen und Maßnahmen zur Konfliktverhütung entwickelt werden. Nach Auffassung der UNO gilt die OSZE als erste internationale Ansprechpartnerin bei Konflikten in ihrem Wirkungsbereich. In der jüngeren Vergangenheit wurde die OSZE daher besonders zur Beobachtung von Wahlen, vor allem in „Übergangsdemokratien“ (= Staaten ohne gefestigte Demokratie) herangezogen – z.B. in Georgien, Serbien, Weißrussland, Russland, Mazedonien. Neben den erwähnten Aufgaben widmet sich die OSZE dem Kampf gegen den Rassismus, im Speziellen gegen den Antisemitismus. Trotz der Orientierung an den Menschenrechten weisen mehrere Mitgliedstaaten der OSZE nach wie vor erhebliche Missstände gerade in diesem Bereich auf. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Die NATO wird als „militärpolitisches Netzwerk“ beschrieben. Arbeite die Ziele und deren Veränderung seit den 1990er Jahren heraus und interpretiere sie hinsichtlich ihrer neuen politischen Bedeutsamkeit. Denke dabei an das Verhältnis zu Russland. 2. Nimm Stellung zu den aktuellen politischen Herausforderungen der OSZE. 3. Erörtere, was der teilweise Rückzug der USA und die Steigerung der Ausgaben für Rüstung für die Budgethaushalte der europäischen NATO-Länder bedeuten wird. Internationale Politik der Gegenwart 93 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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