sprachreif 2, Schülerbuch

Erasmus von Rotterdam – ein Humanist Erasmus von Rotterdam war Augustinermönch und daher von den Entwicklungen des Humanismus in Bezug auf die Kirche stark beeinflusst. Er stellte sich gegen die Spaltung der Kirche und daher auch gegen Martin Luther und dessen Thesen. Als Gelehrter war er mit seinen vielen einflussreichen Werken und Texten einer der wichtigsten Vertreter des Humanismus. A40 Im folgenden Textauszug tritt die Torheit als Erzählerin auf und spricht über sich selbst. Es ist eine ironisch gemeinte Lobrede, die die Menschen vor Torheit warnen soll. Unterstreichen Sie die Textstellen, die ironisch gemeint sein könnten. Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit (1511) Die Torheit tritt auf und spricht: Mögen die Menschen in aller Welt von mir sagen, was sie wollen – weiß ich doch, wie übel von der Torheit auch die ärgsten Toren reden –, es bleibt dabei: mir, ja mir allein und meiner Kraft haben es Götter und Menschen zu danken, wenn sie heiter und frohgemut sind. Das beweist ihr selber schon zur Genüge; denn sowie ich vor eure große Gemeinde trat, ging augenblicklich über jedes Gesicht ein ganz ungewöhnlicher, überraschender Schein, munter schnellten die Köpfe empor, und ein so ungehemmtes helles Gelächter schallte mir entgegen, daß mich wahrhaftig deucht, es sei euch allen, die ich von nah und fern versammelt sehe, homerischer Götterwein, gewürzt mit Vergißdasleid, zu 1Kopfe gestiegen, und saßet doch vorher so bedrückt und verängstigt da […]. [S]o hat sich im Nu, sobald ich mich blicken ließ, euer ganzes Wesen verwandelt, und was gewiegte Redner mit einer langen und wohlstudierten Ansprache kaum zustande bringen – ich meine, die schlimmen Sorgen verscheuchen –, ist mir mit dem ersten Schritt vor euch hin gelungen. Warum ich aber heute in dieser ungewöhnlichen Tracht auftrete, sollt ihr sofort vernehmen, falls ihr geruht, mir euer Ohr zu leihen – aber bitte nicht das, womit ihr euch einen frommen Prediger anhört, sondern das andere, das ihr so munter spitzt, sobald ein Marktschreier, ein Hanswurst oder ein Narr in der Schellenkappe seine Witze reißt. Es kam mich nämlich die Lust an, vor euch für ein Stündchen den Sophisten zu spielen […]. Ich halte mich an das Beispiel jener Alten, die von dem anrüchigen Titel „der Weise“ nichts wissen wollen und sich bescheiden nur Freunde der Weisheit, Sophisten2, nannten. Und da sie nichts lieber taten, als auf Götter und Helden Lobreden halten, so werdet auch ihr eine Lobrede hören; nur gilt sie nicht Herkules und nicht Solon3, sondern mir selbst, der Torheit. Ich pfeife auf jene Weisen, die es gleich bodenlose Dummheit und Unverschämtheit heißen, sobald sich einer selbst lobt. […] Was stimmte nun schöner zusammen, als wenn die Torheit selbst ihren Ruhm ausposaunt und ihr Loblied singt? Denn wer vermöchte mich besser zu geben als ich mich selbst? […] Ohnehin will mir das viel passender vorkommen, als was die vornehmen und weisen Herren insgemein tun. Die pflegen in einer Art Scham, die das Gegenteil ist, sich einen katzbuckelnden Redekünstler oder phrasendreschenden Poeten zu bestellen und zahlen ihm Honorar, um aus seinem Munde ihr Lob sich anzuhören, […] dabei spreizt sich unser schamhafter Mann wie ein Pfau, […] wenn der ausgeschämte Lobhudler ihn, den Wicht, einem Gott vergleicht, wenn er ihn preist als Muster einer jeden Tugend – himmelweit weiß sich jener selbst davon entfernt –, wenn er die Krähe mit fremden Federn aufputzt, den Mohren weißwäscht, aus einer Mücke einen Elefanten macht. Und schließlich: ich halte es mit dem Sprichwort, das da sagt: „Lobe dich ruhig selbst, wenn es kein anderer für dich tun will.“ Freilich muß ich dabei sagen, daß die Undankbarkeit – oder ist es Faulheit? der Menschen mich befremdet. Denn alle machen mir eifrig den Hof und sonnen sich gern in meiner Gnade, aber unter so vielen Generationen ist nicht einer gewesen, der mit dankbaren Worten der Torheit ein Kränzchen gewunden hätte. QUELLE: https://www.projekt-gutenberg.org/erasmus/torheit/chap03.html; (abgerufen am 25.02.2021) (in Originalschreibung) A41 Diskutieren Sie in Partnerarbeit folgende Frage: Was kann die Leserin/der Leser hier lernen? B 1 Bezugnahme auf Homer (altgr. Dichter, der sich oft auf das fröhliche Lachen der Götter bezieht); 2 Gruppe von Denkern und Philosophen im alten Griechenland 3 als sehr weise geltender altgriechischer Politiker 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 78 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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