Analog oder digital – was braucht guter Unterricht heute?

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Titelbild Magazin Podcast Edu Funk

Wo bietet in der Schule die Digitalisierung Chancen? Und wo ist es besser, analog zu bleiben? Darüber sprechen Anna Gombocz und Björn Braun im Podcast #KlasseZwanzigZukunft.

Wie viel Digitales braucht guter Unterricht und wo ist analoges Lernen unersetzlich? Darüber spricht im Podcast #KlasseZwanzigZukunft öbv-Geschäftsführer Philipp Nussböck mit den beiden digital-affinen Lehrkräften Anna Gombocz und Björn Braun vom Podcast EduFunk. Gemeinsam diskutieren sie, wann digitale Tools echten Mehrwert schaffen, warum Medienkompetenz mehr ist als Word und Excel – und warum Austausch im Lehrer*innenzimmer auf dem Weg zu einem sinnvollen Einsatz digitaler Medien entscheidend ist.

Handlungsorientiert lehren und lernen

Die einen warnen vor Bildschirmzeit und Ablenkung, die anderen sehen in der Digitalisierung den Schlüssel zu moderner Bildung. Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte, nämlich in einer ausgewogenen Praxis. Wo ist analoges Lernen und Lehren unschlagbar und wo bietet die Digitalisierung wirkliche Chancen?

„Handlungsorientierter Unterricht funktioniert mit digitalen Medien super. Ich lasse zum Beispiel meine Schüler*innen täglich acht Minuten mit einem digitalen Tool Vokabeln lernen – sie haben Spaß dabei und merken gar nicht, dass sie gerade lernen.“

Diese Kernaussage aus dem Gespräch bringt es auf den Punkt: Digitale Anwendungen sind nicht Selbstzweck, sondern Werkzeuge, um Lernhandlungen zu initiieren. Anna Gombocz schildert ein Projekt aus dem Englischunterricht: Die Klasse produziert Stummfilme im Stil von Charlie Chaplin – erst kommt das Machen (Drehen, Schneiden, Gestalten), dann das Beschreiben. Plötzlich entstehen aus zwei Sätzen ausführliche, treffende Texte. Das Digitale erweitert hier die Lernhandlung, es macht das Unsichtbare sichtbar und lässt Kompetenzen zusammenspielen: Kreativität, Medienproduktion, Sprachhandeln und Reflexion.

Wo analog glänzt: Haptik, Tiefgang, Konzentration

So überzeugend die Beispiele sind: Es gibt Situationen, in denen Analoges klar im Vorteil ist. Björn Braun nennt Dreieckskonstruktionen in Mathematik. Zirkel, Lineal, Papier – hier trainieren Schülerinnen und Schüler Feinmotorik, räumliches Vorstellungsvermögen und das „Einfühlen“ in geometrische Zusammenhänge. Auch beim Aufsatzschreiben lohnt der Griff zum Stift: Handgeschriebenes zwingt zu Tempo-Drosselung, Strukturierung und kognitiver Verarbeitung – Qualitäten, die gerade im KI-Zeitalter kostbar sind. Anna Gombocz ergänzt: Diskutieren, Rollenspiele, gemeinsames Ausprobieren – das alles lebt von Präsenz, Blickkontakt und spontaner Interaktion. Digitale Hilfen können unterstützen; der Kern bleibt analog-menschlich.

Es ist kein Entweder-Oder

Im medialen Diskurs werden häufig Studienergebnisse zitiert, die einander zu widersprechen scheinen. Oft fehlt der Blick auf das Forschungsdesign. Anna Gombocz, selbst Bildungswissenschaftlerin, mahnt, bei Interpretationen die Methodik zu prüfen: Stichproben, Kontrollgruppen, Aussagekraft. Ihr Praxisfazit ist nüchtern und zugleich ermutigend: In Österreich – wie im deutschsprachigen Raum – wirkt das Digitale dort, wo es eingebettet, reflektiert und kontinuierlich erlernt wird. Wichtig ist den beiden, dass es nicht darum geht, entweder analog oder digital zu unterrichten. Beides hat Vor- und Nachteile, bietet Chancen und birgt Risiken. Der Mix zählt. Wo hat also analog, wo digital seine Stärken?

  • Digital eignet sich toll für interaktive Übungen, individuelle Lernwege und Tutoring, für Visualisierungen, kreative Aufträge und Abwechslung.
  • Analog ist Trumpf, wenn es ums Lesen und Schreiben geht, wenn Haptik gefragt, besonders viel Fokus nötig ist oder wenn es um menschliche Begegnung oder Diskussionen geht.
„Ich nutze digitale Tools, um schnell Materialien herzustellen, die punktgenau auf dem Niveau meiner Lehrgruppe sind. Und ich hole mir viele Ideen für Unterricht und kann mit KI-Tools auch den Unterricht anders gestalten.“

Kinder nicht „ins digitale Wasser werfen“

Schüler*innen heutzutage sind Digital Natives und brauchen nicht mehr viel Einführung ins digitale Arbeiten? Die beiden Lehrkräfte widersprechen vehement. Anna Gombocz bringt einen treffenden Vergleich: Niemand würde ein Kind einfach ins Wasser stoßen, ohne ihm vorher das Schwimmen beizubringen. Warum machen wir es dann beim Digitalen so? Es braucht das Analoge als Ausgangspunkt, von dem aus man Kinder langsam und ganz bewusst, Schritt für Schritt ans digitale Arbeiten heranführt.

„Kinder müssen Schritt für Schritt auf das digitale Arbeiten zugeführt werden. Es funktioniert nicht, ihnen einfach zu sagen: ‚Ab heute lernen wir digital; ihr findet alles auf Teams!‘“

Ohne klare Absprachen geht es nicht. Anna Gombocz empfiehlt einfache, konsistente Regeln: Gerät auf zum Arbeiten, Gerät zu, wenn gesprochen wird; es gibt Stunden mit und bewusst ohne Gerät. Björn Braun ergänzt für KI: Es ist erlaubt und erwünscht, sie zu nutzen, aber es muss transparent und reflektiert geschehen. Was wurde genutzt? Inwiefern hat es geholfen? Wo musste ich selbst nacharbeiten?

Woran Sie gute Tools erkennen

Eine Lehrkraft hat uns vorab gefragt: Woran erkenne ich ein Tool, das im Unterricht wirklich hilft? Björn Braun nennt dafür drei Kriterien:

  • Intuitiv und ohne lange Erklärungen nutzbar
  • Funktionsumfang klar begrenzt, um Überforderung zu vermeiden
  • Didaktische Materialien oder Beispiele vorhanden

Anna Gombocz ergänzt zwei Praxisfilter, die in österreichischen Schulen den Unterschied machen: Gerätekompatibilität (läuft es auf den vorhandenen Devices – und idealerweise auch offline?) und Datenschutz (Serverstandort, Verarbeitung personenbezogener Daten, Nutzung ohne Klarnamen, wo nötig).

Diese Tools benutzen die beiden besonders gern:

  • Quizlet für das tägliche Vokabellernen (kurz, spielerisch, motivierend).
  • Wayground als „besseres Kahoot“ mit Wiederhol-Mechanismen und KI-Einbindung, um analoge Arbeitsblätter gezielt zu digitalisieren und Lernprozesse zu steuern.
  • Miro als kollaborative „digitale Tafel“, die Inhalte, Links, Medien bündelt – von überall zugänglich.
  • Canva (kostenlos mit der Education-Lizenz), mit dem Lernprodukte schnell und professionell gestaltet werden, ohne am „weißen Blatt“ zu verzweifeln.

Björn Braun ist überzeugt: Medienbildung heißt nicht, bestimmte Programme perfekt zu meistern. Es geht um übertragbare Prinzipien: Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Recherche, Quellenkompetenz, kollaboratives Arbeiten, visuelles Kommunizieren – unabhängig von App-Namen. Wer diese Grundlagen versteht, findet sich auch in neue Programme schneller ein. Für die Lebenswelt der Schüler*innen – von politischen Debatten auf Social Media bis zu Berufsanforderungen – ist das Gold wert.

Künstliche Intelligenz – nutzen oder beschränken?

Beide Lehrkräfte setzen KI zur Unterrichtsvorbereitung, aber auch mit ihren Schüler*innen ein. Anna Gombocz beschreibt etwa, wie KI Projektvorarbeiten beschleunigt (z. B. beim Erstellen eines digitalen Workbooks), sodass Zeit für Feedback, Adaption und Qualität bleibt. Auch Bilder generiert sie inzwischen teils mit Künstlicher Intelligenz, statt sich stundenlang durch Bilddatenbanken zu klicken. Björn Braun schätzt KI für Niveaudifferenzierung und lässt sich von ihr kreative Ideen für die Unterrichtsgestaltung geben. Er holt sogar Romanfiguren in den Klassenraum, indem er einen KI-Chatbot entsprechend einstellt und promptet. So können seine Schüler*innen sich mit der Romanfigur unterhalten, Fragen stellen und anschließend die Antworten analysieren: Ist das realistisch? Würde die Romanfigur das wirklich so erzählen? Bei aller Begeisterung und allen Chancen betonen jedoch beide, dass es Regeln für die KI-Nutzung braucht: Transparenz (Kennzeichnen, wo und wie KI genutzt wurde), Reflexion (Was hat geholfen? Wo sind Grenzen?) und Zielklarheit (Wozu setzen wir KI hier ein?).

Digitalisierung und Chancengleichheit

Sind Digitalisierung und KI eine Chance oder eine Bedrohung für die Bildungsgerechtigkeit? Die Antwort der beiden ist differenziert – und ermutigend: Mit richtiger Anleitung kann Digitalisierung Chancengleichheit fördern. Björn Braun weist darauf hin, dass KI Zugänge eröffnen kann, die früher privater Nachhilfe vorbehalten waren. Und Anna Gombocz betont die Rolle der Lehrkraft: Ausstattung allein genügt nicht; erst die Haltung und Prioritätensetzung im Klassenraum entscheidet, ob Kinder – egal aus welchem Umfeld – echte Teilhabe erleben.

Vier sofort umsetzbare Schritte

Zum Abschluss des Gesprächs bündeln die beiden ihre zentralen Tipps:

  • Klein anfangen. Nehmen Sie sich zunächst einmal eine Klasse und ein klar begrenztes Tool vor. Probieren Sie es aus und lernen Sie im Tun, wie es sich mit Mehrwert in den Schulalltag integrieren lässt.
  • Offen kommunizieren. Sagen Sie der Klasse: „Wir lernen das zusammen.“ Holen Sie sich bei Bedarf eine*n technisch versierte*n Schüler*in an die Seite. Die jungen Menschen dürfen wissen, dass auch Sie noch Neues lernen und nicht alles schon können.
  • Eigene Materialien digital ordnen. Starten Sie mit Ihrem eigenen Materialmanagement: Arbeitsblätter, die Sie ohnehin überarbeiten, gleich digital neu denken.
  • Kollegiale Netzwerke nutzen. Finden Sie eine*n Kolleg*in, die sich mit Digitalisierung oder einem bestimmten Tool schon auskennt und bitten Sie sie um einen zehnminütigen Austausch dazu.
„Was Lehrkräften wirklich hilft, ist Austausch untereinander. Im Kollegium gibt es sicher jemanden, der sich mit dem jeweiligen digitalen Tool auskennt. Das ist gerade im schnelllebigen digitalen Zeitalter entscheidend, wo man nicht mehr alles selbst wissen kann.“

Wie wird die Schule der Zukunft aussehen? Björn Braun sieht eine Schule, in der digitale Medien allgegenwärtig sind – mit der Herausforderung, Lernende souverän auf eine KI-geprägte Welt vorzubereiten. Anna Gombocz wünscht sich offene Türen, gelebte Menschlichkeit und spontane Projektfreude – eine Schule, in der Lehrkräfte selbst viel lernen dürfen und Schüler*innen ihr Umfeld forschend erkunden: vom Quellencheck für die Schulchronik bis zu Bodenproben im Biologieunterricht. Beide Bilder eint: Schule wird dann gut, wenn sie lernende Organisation ist – analog und digital.

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