Zum Tag der Lehrkräfte am 5. Oktober teilt öbv-Geschäftsführer Philipp Nussböck seine Sicht auf den Beruf und dessen gesellschaftliche Wahrnehmung.
Lehrkraft ist eigentlich ein gemütlicher Beruf, so das Klischee: „Die arbeiten nur vormittags und haben dreimal so viel Urlaub wie alle anderen.” Doch wer diese Auffassung vertritt, hat offenbar noch nie miterlebt, was es wirklich heißt, in der Klasse zu stehen: Wissen zu vermitteln, Kinder individuell zu fördern, Konflikte zu lösen, Eltern zu beraten, Unterricht vorzubereiten, Prüfungen zu korrigieren, Schüler*innen mit unterschiedlichen Voraussetzungen oder Diagnosen zu integrieren – und das alles gleichzeitig. Laut Hochrechnungen kommen Lehrkräfte sogar ziemlich schnell auf 48 Stunden Arbeitszeit pro Woche inklusive Korrekturen, Unterrichtsvorbereitung, Elterngesprächen und Ähnlichem.
Lehrkraft zu sein bedeutet heute zudem weit mehr als Unterricht zu halten. Es ist ein Beruf mit unzähligen Rollen: Wissensvermittler*in, Erzieher*in, Bewerter*in, Organisator*in, Coach*in, Konfliktmanager*in, IT-Support, Sozialarbeiter*in, Übersetzer*in, Vertrauensperson. Für Lehrkräfte ist es Alltag, von einer Stunde zur nächsten zu eilen: unterwegs eine Schülerin bei einem persönlichen Problem zu beraten, im Klassenzimmer die Technik startklar zu machen, korrigierte Hausübungen auszuteilen, nebenbei eine „schnelle“ IT-Frage zu beantworten, einen Streit zwischen zwei Schülern zu schlichten – und gleichzeitig mit dem Biologieunterricht fortzufahren, obwohl ein Drittel der Klasse noch Deutschförderung benötigen würde. Daneben vermitteln sie fachübergreifend Kompetenz zu Demokratie, Nachhaltigkeit und vielem mehr. Morgens einmal fünf Minuten zu spät zur Arbeit zu kommen, bei Bedarf flexibel eine kurze Pause zu machen oder dann auf die Toilette zu gehen, wenn man muss, ist als Lehrkraft schlichtweg nicht drin. Und während draußen oft wenig konkret über Bildungsreformen diskutiert wird, müssen Lehrkräfte tagtäglich Lösungen für die Praxis finden – und das trotz Zeitdruck, Personalmangel und fehlender Unterstützung sowie Wertschätzung.
Wer meint, dass dieser Beruf „ganz gemütlich“ sei, unterschätzt jedoch nicht nur die tatsächliche Belastung, sondern auch die gesellschaftliche Bedeutung dieser Arbeit. Denn die Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung – sie ist der zentrale Raum für Chancengerechtigkeit, Teilhabe und Zukunftsgestaltung. Genau dort entscheidet sich, ob junge Menschen später ihr Potenzial entfalten können.
Am Tag der Lehrkräfte reicht es nicht, bloß Danke zu sagen. Wenn wir den Bildungsstandort Österreich sichern wollen, müssen wir das Berufsbild Lehrkraft realistisch betrachten – und endlich entsprechend gestalten. Dazu gehört eine ehrliche gesellschaftliche Auseinandersetzung: Was können Lehrkräfte tatsächlich leisten und was nicht? Und welche strukturellen Veränderungen sind nötig, damit sie langfristig gesund, motiviert und mit hoher Qualität arbeiten können?
Wenn es uns gelingt, das öffentliche Bild des Lehrberufs zu schärfen und die tatsächliche Arbeitsrealität anzuerkennen, schaffen wir die Basis für eine neue Kultur der Wertschätzung. Nur so werden sich auch künftig junge Menschen für diesen Beruf entscheiden. Denn eines ist unbestritten – die renommierte Hattie-Studie hat es längst belegt: Die Lehrkraft ist einer der entscheidenden Faktoren für den schulischen Erfolg von Schüler*innen. Kurz gesagt: Ohne engagierte Lehrkräfte gibt es keine starke Bildung – und ohne starke Bildung keine zukunftsfähige Gesellschaft!