Mit Tablets unterrichten ohne zu viel Bildschirmzeit – geht das?

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Titelbild Magazin Podcast13

Kann ich digital-gestützt unterrichten, ohne dass Kinder stundenlang auf Bildschirme starren? Ja, sagt die ehemalige Lehrerin und Bildungsunternehmerin Sonja Macher im Podcast #KlasseZwanzigZukunft.

öbv-Geschäftsführer und Podcast-Host Philipp Nussböck befragt in dieser Podcastfolge von #KlasseZwanzigZukunft Sonja Macher zum Thema Digitalisierung in Schulen. Sonja Macher war über Teach For Austria fünf Jahre als Lehrerin an einer Wiener Mittelschule tätig und gründete 2020 ihre Bildungsagentur InnovationsMacherIN, mit der sie seither Innovation und sinnvolle Digitalisierung in der Schule vorantreibt.

Sonja Macher kennt die Chancen wie auch die Stolpersteine digitaler Endgeräte im Unterricht genau – und sie zeigt, wie Tablets als kreative Werkzeuge eingesetzt werden können, ohne dass Bildschirmzeit überhandnimmt.

Vom Bakterienlabor ins Klassenzimmer

Bevor Sonja Macher als Lehrerin wirkte, war sie in der Lebensmittel- und Mikrobiologie zuhause. Doch der Schritt von der Laborarbeit ins Klassenzimmer war kein Zufall: „Es ist etwas einsam, wenn man mit Bakterien arbeitet. Die reden nicht zurück“, erzählt sie schmunzelnd im Gespräch. Mit Teach For Austria fand sie ihren Weg in die Schule – und blieb fünf Jahre, länger als ursprünglich geplant. Aus dieser Erfahrung entwickelte sie ihr heutiges Anliegen: Digitalisierung in Schulen nicht um der Digitalisierung willen voranzutreiben, sondern immer mit Blick auf pädagogischen Mehrwert und nachhaltiges Lernen.

Geräteinitiative als Chance, aber auch Druck

Durch die Geräteinitiative „Digitales Lernen“ haben seit dem Schuljahr 2021/22 alle Schüler*innen der 5. Schulstufe ein eigenes digitales Gerät erhalten. Das hat Chancen eröffnet, aber auch Druck erzeugt: „Die Geräteinitiative hat in den Volksschulen zu einem gewissen Druck geführt, eine ausreichende Vorbereitung dafür zu bieten“, so Sonja Macher.

Doch sie plädiert dafür, sich davon nicht überrollen zu lassen, sondern bewusst mit Limitierungen zu arbeiten: Die Tablets sind nicht permanent verfügbar, sondern nur dann, wenn es eine konkrete Aufgabe gibt. Ein einziger Tabletkoffer mit rund 20 Geräten kann für eine ganze Schule reichen, wenn er gezielt eingesetzt wird. So wird klar: Tablets sind Werkzeuge – nicht Dauerbegleiter.

Digitalität statt nur Digitalisierung

Sonja Macher macht im Gespräch den Unterschied zwischen zwei Begriffen auf: Digitalisierung und Digitalität. In ihrer Definition ist es Digitalisierung, wenn ein bestehender Lernprozess einfach nur ins Digitale verlagert wird, wenn also Kinder einfach Texte am Tablet lesen, die sie vorher im Buch gelesen haben. Digitalität ist in ihrer Auffassung eine digital unterstützte Realität, die Tablets auf kreative Art verwendet.

„Nutzen die Kinder das Tablet wie ein Buch? Das wäre Digitalisierung. Aber wir wollen ja Digitalität – eine digital unterstützte Realität, die Tablets auf kreative Art verwendet.“

Das bedeutet: Tablets sollen nicht nur Inhalte wiedergeben, sondern Lernprozesse eröffnen. Ein Beispiel dafür ist Stop-Motion-Filmproduktion: Kinder erstellen kleine Trickfilme, etwa zu mathematischen Aufgaben oder grammatikalischen Strukturen. Dabei greifen digitale und analoge Elemente ineinander – sie fotografieren Figuren, schneiden Formen aus Papier oder gestalten ein Storyboard. Das Ergebnis: konzentriertes Arbeiten, bei dem digitale Medien den Rahmen bilden, aber Kreativität und Handarbeit zentral bleiben.

Keine Angst vor Fehlern

Gerade für Lehrkräfte, die vielleicht weniger digital-affin sind, hat Sonja Macher eine klare Botschaft: „Keine Angst vor dem Unterricht mit Tablets! Man wird nicht sofort alles können, aber man kann es sich gemeinsam mit den Kindern erarbeiten.“

„Ich empfehle, dass man gemeinsam mit den Kindern die Regeln für den Umgang mit Tablets erarbeitet.“

Wichtig ist dabei ein klarer Rahmen:

  • Regeln für den Umgang mit Tablets werden gemeinsam mit der Klasse erarbeitet.
  • Diese Regeln können nicht nur schriftlich, sondern auch visuell festgehalten werden – etwa durch Zeichnungen oder kleine Poster.
  • Bei älteren Schüler*innen kann daraus sogar ein „Tablet-Vertrag“ werden, den alle unterschreiben.

So entsteht Verbindlichkeit – und gleichzeitig Stolz auf die gemeinsam geschaffene Vereinbarung.

Bildschirmzeit steuern

Eltern wie Lehrkräfte machen sich Sorgen: Wie viel Bildschirmzeit ist zu viel? Sonja Macher rät dazu, im schulischen Rahmen klar zu strukturieren:

  • Übungen sind zeitlich begrenzt, z. B. durch Time Boxing: „Ich sage den Kindern, sie haben jetzt zehn Minuten Zeit, um die Übung fertigzustellen.“
  • Häufig arbeiten Kinder in Partner- oder Gruppenarbeit, was zusätzlich die Bildschirmzeit verkürzt.
  • Analoge Elemente – Ausschneiden, Malen, Bauen – bleiben fester Bestandteil.
„Ich kann digital unterstützte Übungen so kombinieren, dass auch analoge Momente dabei sind. Wenn Kinder für ihre Stop-Motion-Filme Formen ausschneiden, fördere ich gleichzeitig feinmotorische Fähigkeiten.“

So ergibt sich im Durchschnitt oft nur eine Bildschirmzeit von maximal 60 Minuten pro Woche, aufgeteilt auf mehrere kurze Einheiten.

Im privaten Bereich sieht Sonja Macher allerdings die größere Herausforderung: „Kinder kopieren, was sie sehen. Wenn Eltern ständig am Smartphone hängen, übernehmen Kinder dieses Verhalten.“ Hier hilft es, selbstkritisch zu reflektieren – zum Beispiel mit einem Bildschirmtagebuch.

Gamification oder intrinsische Motivation?

Manchmal zeigt sich im Unterricht ganz von selbst, wann es genug ist. So erzählt Sonja Macher von einer Klasse mit sonderpädagogischem Förderbedarf, in der nach einiger Zeit ein Drittel der Kinder selbst entschied: „Ich möchte nicht mehr digital arbeiten.“ In solchen Momenten bietet sie Alternativen an: basteln, mit Lego oder Plastilin arbeiten, ein Storyboard entwickeln.

„Wenn es zu digital wird, holen wir die Kinder bewusst ins Analoge zurück.“

Tablets im Unterricht werden oft mit spielerischem Lernen in Verbindung gebracht. Doch Sonja Macher sieht Gamification kritisch: „Das erinnert mich ein bisschen an den Pawlowschen Hund – ich bekomme ein Zuckerl, wenn ich etwas mache.“ Ihr Ziel ist es, die intrinsische Motivation der Schüler*innen zu fördern, etwa, weil sie ein kreatives Projekt umsetzen wollen oder stolz auf ihr Produkt sind.

Auch die internationale Perspektive kommt im Podcast zur Sprache. Länder wie Schweden rudern bei der Digitalisierung in Schulen derzeit zurück. Für Österreich sieht Sonja Macher darin keine Rechtfertigung, das Thema außen vor zu lassen: „Wir sind noch gar nicht dort, von wo Schweden zurückrudert. Wir haben noch Arbeit vor uns – aber wenn wir das reflektiert und mit Liebe umsetzen, können wir ihre Fehler vermeiden.“

Welche Kompetenzen zählen?

Am Ende geht es Ihr nicht in erster Linie um die Frage, wie viel Bildschirmzeit Kinder haben, sondern darum, welche Kompetenzen diese erwerben sollen. Sonja Macher nennt die bekannten „4 Cs“ der 21st-Century-Skills:

  • Creativity (Kreativität)
  • Collaboration (Zusammenarbeit)
  • Communication (Kommunikation)
  • Critical Thinking (Kritisches Denken)

Ergänzt werden diese Fähigkeiten durch Haltung und Persönlichkeit – etwa Charisma, Citizenship oder ein Growth Mindset.

Drei konkrete Tipps für den Einstieg

Zum Abschluss der Podcastfolge gibt Sonja Macher Lehrkräften drei sofort umsetzbare Empfehlungen:

  • Regeln aufstellen – gemeinsam mit den Kindern, nicht von oben herab.
  • Neugierig bleiben – man muss nicht alles können, sondern kann gemeinsam lernen.
  • Ein neues Tool ausprobieren – klein anfangen, etwa mit der kostenlosen Stop-Motion-App oder einem eBook-Creator.

Die Diskussion um Tablets im Unterricht dreht sich oft um Risiken. Doch Sonja Macher zeigt, dass digitale Geräte – richtig eingesetzt – kreative Lernwerkzeuge sind, die nicht automatisch zu übermäßiger Bildschirmzeit führen. Entscheidend ist die Balance: klare Regeln, zeitliche Begrenzungen, analoge Ergänzungen und eine Haltung, die Neugier und Kreativität fördert. So können Tablets zu dem werden, was sie sein sollten: Hilfsmittel für eine zukunftsfähige Bildung – und nicht Selbstzweck.

Neugierig auf mehr?

Die ganze Podcastfolge finden Sie im Podcast #KlasseZwanzigZukunft – überall, wo es Podcasts gibt!

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