Wie können Lehrkräfte präventiv gegen Gewalt arbeiten? Und wie funktioniert im Ernstfall eine wirksame Suspendierung? Das erklärt Schulpsychologe Josef Zollneritsch im Podcast #KlasseZwanzigZukunft.
Ausgeschlagene Zähne, Schlägereien, heftige Beschimpfungen und vieles mehr. Lehrkräfte berichten immer häufiger von Gewalt und Fehlverhalten an Schulen. Was kann präventiv unternommen werden? Und falls es zu einer Suspendierung kommt, was muss passieren, damit sie wirkt? Darüber hat öbv-Geschäftsführer Philipp Nussböck im Podcast #KlasseZwanzigZukunft mit dem Schulpsychologen Josef Zollneritsch gesprochen, der das Projekt "Suspendierungsbegleitung" mitentwickelt hat.
Zollneritsch macht im Gespräch deutlich: Suspendierung ist keine Strafe, sondern eine Sicherungsmaßnahme. Sie darf nur dann verhängt werden, wenn von einem Kind oder Jugendlichen eine massive Gefahr für andere ausgeht. In den letzten Jahren wird dieser letzte Ausweg zunehmend genutzt. Zwischen 2018 und 2023 hat sich die Zahl der Suspendierungen an österreichischen Schulen verdoppelt.
Dabei gilt: Eine Suspendierung allein hilft selten. Im Gegenteil, viele Jugendliche werten die schulfreie Zeit als „Ferien“. Genau hier setzt das neue Projekt der Bildungsdirektion Steiermark an: Die Suspendierungsbegleitung.
Seit dem Schuljahr 2024/25 gibt es in der Steiermark für suspendierte Schüler*innen ein strukturiertes Begleitprogramm. In Kleingruppen, oft sogar im Einzelsetting, werden Jugendliche während ihrer Suspendierung intensiv betreut. Das Ziel: An problematischem Verhalten arbeiten, reflektieren, Alltagsstrukturen aufbauen und neue Perspektiven entwickeln. Das Setting ist bewusst ganzheitlich gestaltet: Gespräche, Lernaufgaben, aber auch Bewegung, Freizeit und Beziehungspflege gehören dazu. Mehr als 50 Fälle wurden seit September 2024 bereits betreut. Das Feedback ist positiv – von Schulen, Eltern und auch den Jugendlichen selbst.
Trotz allem kommen Suspendierungen nicht regelmäßig in jeder Klasse vor. Doch Aggressionen geringeren Ausmaßes beschäftigen eine große Zahl an Lehrkräften. Zollneritsch betont im Gespräch mehrfach: Wenn Lehrpersonen mit problematischem Verhalten allein gelassen werden, ist die Schule am Holzweg. Was es braucht, sind tragfähige Strukturen:
Lehrpersonen müssen in Aus- und Weiterbildung auf die Realität im Klassenzimmer vorbereitet werden, was psychische Gesundheit betrifft: Wie erkenne ich unerfüllte Bedürfnisse hinter problematischem Verhalten? Wie bleibe ich in eskalierenden Situationen handlungsfähig? Wie kann ich wirksam kommunizieren, deeskalieren, Grenzen setzen?
Ein besonders alarmierender Punkt im Gespräch: Auch in Volksschulen kommt es immer häufiger zu Suspendierungen. Fast 20 Prozent der Fälle betreffen Kinder unter zehn Jahren. Dahinter stehen meist tiefe soziale Brüche: Instabile Bindungen, wenig Halt, fehlende Beziehungserfahrung.
Die Schule der Zukunft, so Zollneritsch, muss diesen Entwicklungen früher begegnen. Sozial-emotionales Lernen muss einen festen Platz in den ersten Schuljahren haben. Frühkindliche Bildung, Beziehungsarbeit und bedürfnisorientiertes Arbeiten sollen zur Selbstverständlichkeit werden. Denn: Wer in der Volksschule grundlegende Kompetenzen aufbaut, wird später seltener auffällig.
Zum Abschluss des Gesprächs fasst Josef Zollneritsch zusammen, was jede Lehrkraft beitragen kann, um herausforderndem Verhalten zu begegnen:
„Reines Stundengeben“ sei heute leider zu wenig, um Kinder und Jugendliche gut durch den Schulalltag zu begleiten, sagt Zollneritsch. Schulen brauchen mehr Raum, Zeit und Fachpersonal für Beziehungsarbeit. Die Schule von morgen wird nur funktionieren, wenn sie sich auch als Ort für emotionale Entwicklung versteht.
Weiterführende Links:
Neugierig auf mehr?
Die ganze Podcastfolge finden Sie im Podcast #KlasseZwanzigZukunft – überall, wo es Podcasts gibt!
Wenn Sie dieses Thema spannend fanden, interessiert Sie vielleicht auch: