Wie unterrichte ich Kinder, die wenig Deutsch verstehen?

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Titelbild Magazin Podcast17

Wie gelingt Unterricht in Klassen, in denen viele Kinder noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben? Darüber spricht die Lehrerin Franziska Haberler im Podcast #KlasseZwanzigZukunft.

Wie können Lehrkräfte mit unterschiedlichen Deutschkenntnissen der Schüler*innen umgehen? Wie können sie sprachlichen Missverständnissen vorbeugen, damit es nicht zum Streit kommt? Diese Fragen hat uns Christina, eine Lehrerin aus Wien, gestellt. Christina Hauer, damals Geschäftsführerin des öbv, spricht darüber mit Franziska Haberler. Sie ist stellvertretende Schulleiterin an der Leopold-Kohr-Schule und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache, Englisch und digitale Grundbildung. Im Gespräch beleuchten die beiden praxisnahe Ansätze für den Unterricht, sprechen über Chancen von Mehrsprachigkeit und diskutieren, wie Lehrkräfte im Alltag entlastet werden können.

Mehrsprachigkeit als Ressource statt Problem

Franziska Haberler betont gleich zu Beginn: Der erste Schritt ist, Mehrsprachigkeit nicht als Problem, sondern als Chance zu sehen. Statt zu denken: „Diese Kinder verstehen nicht genug Deutsch“, könne man sich fragen: „Was bringen sie mit, was andere Kinder nicht haben?“ Viele Kinder haben neben ihrer Erstsprache besondere Kompetenzen, Strategien oder Perspektiven. Das kann für den Unterricht bereichernd sein.

Dabei weist Franziska Haberler darauf hin, dass man sich im Klassenzimmer nicht mehr darauf verlassen könne, dass alle Schüler*innen fließend lesen können. Das bedeute aber nicht, dass die Inhalte einfacher werden müssen. Vielmehr müsse die Herangehensweise angepasst werden: Weniger Text, dafür mehr Visualisierungen, handlungsorientiertes Arbeiten und gemeinsames Tun.

Sprachförderung in jedem Fach

Eine zentrale Botschaft des Gesprächs lautet: Jede Unterrichtsstunde ist auch eine Sprachstunde. Ob Physik, Geschichte oder Mathematik – überall brauchen Kinder Fachsprache, die sie sich aktiv aneignen müssen.

Besonders wichtig ist es, den Wortschatz gezielt zu erarbeiten. Begriffe wie „Leiter“ können mehrere Bedeutungen haben. Diese Mehrdeutigkeit müsse erklärt und eingeübt werden. Lehrkräfte sollten sich daher auch stärker als Sprachvermittler*innen verstehen und nicht nur als Fachlehrende.

Das bedeutet auch, dass die Ausbildung zukünftiger Lehrer*innen erweitert werden müsste: Grundkenntnisse in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sollten verpflichtend sein. Nur so könne man die Realität in Volksschulen und Mittelschulen abbilden, wo ein großer Teil der Kinder Deutsch nicht als Erstsprache spricht.

Gemeinsam Erfahrungen schaffen

Sprache entsteht im Tun – davon ist Franziska Haberler überzeugt und setzt deshalb auf handlungsorientierte Methoden:

  • Kochen: Ein gemeinsames Kocherlebnis liefert Vokabeln für Zutaten und Tätigkeiten
  • Kunst und Werken: Beim Zeichnen, Töpfern oder Basteln zeigen Kinder Stärken, die unabhängig vom Sprachniveau sichtbar werden.
  • Ausflüge: Ob Kino, Park oder Tanzworkshops – gemeinsame Erfahrungen schaffen Gesprächsanlässe.
„Ich muss eine gemeinsame Erfahrungswelt schaffen, auf die ich aufbauen kann: Nach dem gemeinsamen Kochen habe ich zum Beispiel die Wörter für die Zutaten, mit denen ich arbeiten kann.“

Freundschaften, so Franziska Haberler, seien ein Schlüssel. Wenn Beziehungen wachsen, entstehen Gespräche – und damit Sprachkenntnisse.

Missverständnisse und Konflikte: Gemeinschaft als Antwort

In Deutschförderklassen kommt es oft zu Missverständnissen oder Konflikten. Franziska Haberler beobachtet, dass dies weniger an sprachlichen Nuancen liegt, sondern oft an Frustration: Kinder können sich nicht ausdrücken, greifen deshalb zu Schimpfwörtern oder werden wütend.

Hier hilft aus ihrer Sicht vor allem eines: Gemeinschaft schaffen. Klassenzusammenhalt, gemeinsame Projekte oder ein Buddy-System, bei dem ältere Kinder jüngere unterstützen, können Konflikte abfedern. Auch Dolmetscher*innen oder Sprachbuddys für kurze Zeiträume seien hilfreich, um Brücken zu bauen.

Digitale Unterstützung: KI als Chance

Franziska Haberler nutzt gerne digitale Werkzeuge, um Unterricht zu vereinfachen – auch wenn sie den direkten Einsatz von KI bei Volksschulkindern kritisch sieht. Für Lehrkräfte jedoch sei es eine enorme Erleichterung:

  • Texte differenzieren: Mit wenigen Klicks lassen sich Texte in mehrere Sprachniveaus vereinfachen.
  • Vokabeltrainer: KI kann gezielt Wortfelder abfragen und beim Üben unterstützen.
  • Übersetzungen: Elternbriefe können schnell mehrsprachig erstellt werden.

So bleibe mehr Zeit für das Wesentliche: die Beziehung zu den Kindern.

„Die Binnendifferenzierung von Texten war noch nie so einfach wie mit KI. ChatGPT zu sagen, vereinfache diesen Text in vier unterschiedlichen Sprachniveaus, das dauert genau dreißig Sekunden.“

Elternarbeit auf Augenhöhe

Ein weiterer Schlüssel zur erfolgreichen Sprachförderung liegt für Franziska Haberler in der Zusammenarbeit mit Eltern. Sie berichtet von mehrsprachigen Elternabenden, die in Türkisch, Arabisch, Farsi und Deutsch abgehalten wurden. Mithilfe von Dolmetscher*innen und Piktogrammen kamen plötzlich 100 % der Eltern – engagiert, interessiert und mit vielen Fragen.

Ihre Haltung ist klar: „Ich erwarte nicht, dass Eltern Deutsch können. Das geht mich nichts an. Sie sind erwachsene Menschen, ich weiß die Gründe nicht, warum sie sich vielleicht mit Deutsch noch schwertun.“ Vielmehr gehe es darum, Barrieren abzubauen und Begegnung zu ermöglichen. Wenn Eltern spüren, dass ihre Anliegen ernst genommen werden, entsteht Vertrauen – und das wirkt sich unmittelbar positiv auf die Kinder aus.

Die Sicht der Kinder

Warum lernen Kinder Deutsch? Nicht, weil sie mit ihren Eltern nach Österreich gezogen sind, meint Franziska Haberler. Das sei oft sogar ein Hindernis. Die Kinder finden sich in einem fremden Umfeld wieder, ohne ihre bisherigen Freund*innen. Vielmehr entstehe Motivation durch positive Gefühle: durch neue Freundschaften, Zugehörigkeit und Teilhabe.

„Wie ist das für die Kinder, eine Schrift zu lernen, die sie nicht lesen können? Wenn wir uns das bewusst machen, kommen wir schnell weg von der Abfälligkeit: Lern erst mal Deutsch!“

Sprache sei ein Mittel, um Beziehungen zu pflegen, mitzumachen und dazuzugehören. Haben Kinder diesen Anreiz – eine Gemeinschaft, in der sie dazugehören möchten –, wächst auch ihre Motivation, Deutsch zu lernen. Lehrkräfte sollten deshalb nicht nur Vokabeln vermitteln, sondern Räume schaffen, in denen Kinder Sprache als Werkzeug erleben, um ihre Welt zu gestalten.

Drei konkrete Tipps

Zum Ende des Gesprächs fasst Franziska Haberler drei praktische Handlungsmöglichkeiten für Lehrkräfte zusammen:

  1. Sprachbewusstsein fördern: Neue Strukturen auch in den Herkunftssprachen der Kinder untersuchen lassen. So erkennen sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Sprachen.
  2. Eltern mehrsprachig einbeziehen: Wo möglich, Kommunikation in den Sprachen der Familien anbieten.
  3. Selbst lernen: Eine neue Fremdsprache ausprobieren – oder zumindest einzelne Wörter in den Sprachen der Kinder lernen, um Empathie zu entwickeln und Verbindung aufzubauen.

Für die Schule der Zukunft hat Franziska Haberler eine klare Vision: Unterricht sollte mehrsprachig sein, nicht nur auf Deutsch oder Englisch. Kinder könnten Prüfungen in verschiedenen Sprachen schreiben. Lehrkräfte bringen ihre eigenen Sprachkompetenzen aktiv ein. So würde Schule die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln – und Mehrsprachigkeit zur sichtbaren Stärke werden. Die Podcast-Folge zeigt: Kinder, die wenig Deutsch verstehen, brauchen Lehrkräfte, die Sprache bewusst und handlungsorientiert in den Unterricht einbetten. Mehrsprachigkeit kann eine Ressource sein. Mit Offenheit, Kreativität und digitalen Hilfsmitteln können Lehrkräfte nicht nur Sprachbarrieren überwinden, sondern auch Gemeinschaft stärken. Und am Ende bleibt die wichtigste Botschaft: Sprache wächst dort, wo Freundschaft, Vertrauen und Freude entstehen.

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Die ganze Podcastfolge finden Sie im Podcast #KlasseZwanzigZukunft – überall, wo es Podcasts gibt!

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