Wie gelingt Unterricht in Klassen, in denen viele Kinder noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben? Darüber spricht die Lehrerin Franziska Haberler im Podcast #KlasseZwanzigZukunft.
Wie können Lehrkräfte mit unterschiedlichen Deutschkenntnissen der Schüler*innen umgehen? Wie können sie sprachlichen Missverständnissen vorbeugen, damit es nicht zum Streit kommt? Diese Fragen hat uns Christina, eine Lehrerin aus Wien, gestellt. Christina Hauer, damals Geschäftsführerin des öbv, spricht darüber mit Franziska Haberler. Sie ist stellvertretende Schulleiterin an der Leopold-Kohr-Schule und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache, Englisch und digitale Grundbildung. Im Gespräch beleuchten die beiden praxisnahe Ansätze für den Unterricht, sprechen über Chancen von Mehrsprachigkeit und diskutieren, wie Lehrkräfte im Alltag entlastet werden können.
Franziska Haberler betont gleich zu Beginn: Der erste Schritt ist, Mehrsprachigkeit nicht als Problem, sondern als Chance zu sehen. Statt zu denken: „Diese Kinder verstehen nicht genug Deutsch“, könne man sich fragen: „Was bringen sie mit, was andere Kinder nicht haben?“ Viele Kinder haben neben ihrer Erstsprache besondere Kompetenzen, Strategien oder Perspektiven. Das kann für den Unterricht bereichernd sein.
Dabei weist Franziska Haberler darauf hin, dass man sich im Klassenzimmer nicht mehr darauf verlassen könne, dass alle Schüler*innen fließend lesen können. Das bedeute aber nicht, dass die Inhalte einfacher werden müssen. Vielmehr müsse die Herangehensweise angepasst werden: Weniger Text, dafür mehr Visualisierungen, handlungsorientiertes Arbeiten und gemeinsames Tun.
Eine zentrale Botschaft des Gesprächs lautet: Jede Unterrichtsstunde ist auch eine Sprachstunde. Ob Physik, Geschichte oder Mathematik – überall brauchen Kinder Fachsprache, die sie sich aktiv aneignen müssen.
Besonders wichtig ist es, den Wortschatz gezielt zu erarbeiten. Begriffe wie „Leiter“ können mehrere Bedeutungen haben. Diese Mehrdeutigkeit müsse erklärt und eingeübt werden. Lehrkräfte sollten sich daher auch stärker als Sprachvermittler*innen verstehen und nicht nur als Fachlehrende.
Das bedeutet auch, dass die Ausbildung zukünftiger Lehrer*innen erweitert werden müsste: Grundkenntnisse in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sollten verpflichtend sein. Nur so könne man die Realität in Volksschulen und Mittelschulen abbilden, wo ein großer Teil der Kinder Deutsch nicht als Erstsprache spricht.
Sprache entsteht im Tun – davon ist Franziska Haberler überzeugt und setzt deshalb auf handlungsorientierte Methoden:
Freundschaften, so Franziska Haberler, seien ein Schlüssel. Wenn Beziehungen wachsen, entstehen Gespräche – und damit Sprachkenntnisse.
In Deutschförderklassen kommt es oft zu Missverständnissen oder Konflikten. Franziska Haberler beobachtet, dass dies weniger an sprachlichen Nuancen liegt, sondern oft an Frustration: Kinder können sich nicht ausdrücken, greifen deshalb zu Schimpfwörtern oder werden wütend.
Hier hilft aus ihrer Sicht vor allem eines: Gemeinschaft schaffen. Klassenzusammenhalt, gemeinsame Projekte oder ein Buddy-System, bei dem ältere Kinder jüngere unterstützen, können Konflikte abfedern. Auch Dolmetscher*innen oder Sprachbuddys für kurze Zeiträume seien hilfreich, um Brücken zu bauen.
Franziska Haberler nutzt gerne digitale Werkzeuge, um Unterricht zu vereinfachen – auch wenn sie den direkten Einsatz von KI bei Volksschulkindern kritisch sieht. Für Lehrkräfte jedoch sei es eine enorme Erleichterung:
So bleibe mehr Zeit für das Wesentliche: die Beziehung zu den Kindern.
Ein weiterer Schlüssel zur erfolgreichen Sprachförderung liegt für Franziska Haberler in der Zusammenarbeit mit Eltern. Sie berichtet von mehrsprachigen Elternabenden, die in Türkisch, Arabisch, Farsi und Deutsch abgehalten wurden. Mithilfe von Dolmetscher*innen und Piktogrammen kamen plötzlich 100 % der Eltern – engagiert, interessiert und mit vielen Fragen.
Ihre Haltung ist klar: „Ich erwarte nicht, dass Eltern Deutsch können. Das geht mich nichts an. Sie sind erwachsene Menschen, ich weiß die Gründe nicht, warum sie sich vielleicht mit Deutsch noch schwertun.“ Vielmehr gehe es darum, Barrieren abzubauen und Begegnung zu ermöglichen. Wenn Eltern spüren, dass ihre Anliegen ernst genommen werden, entsteht Vertrauen – und das wirkt sich unmittelbar positiv auf die Kinder aus.
Warum lernen Kinder Deutsch? Nicht, weil sie mit ihren Eltern nach Österreich gezogen sind, meint Franziska Haberler. Das sei oft sogar ein Hindernis. Die Kinder finden sich in einem fremden Umfeld wieder, ohne ihre bisherigen Freund*innen. Vielmehr entstehe Motivation durch positive Gefühle: durch neue Freundschaften, Zugehörigkeit und Teilhabe.
Sprache sei ein Mittel, um Beziehungen zu pflegen, mitzumachen und dazuzugehören. Haben Kinder diesen Anreiz – eine Gemeinschaft, in der sie dazugehören möchten –, wächst auch ihre Motivation, Deutsch zu lernen. Lehrkräfte sollten deshalb nicht nur Vokabeln vermitteln, sondern Räume schaffen, in denen Kinder Sprache als Werkzeug erleben, um ihre Welt zu gestalten.
Zum Ende des Gesprächs fasst Franziska Haberler drei praktische Handlungsmöglichkeiten für Lehrkräfte zusammen:
Für die Schule der Zukunft hat Franziska Haberler eine klare Vision: Unterricht sollte mehrsprachig sein, nicht nur auf Deutsch oder Englisch. Kinder könnten Prüfungen in verschiedenen Sprachen schreiben. Lehrkräfte bringen ihre eigenen Sprachkompetenzen aktiv ein. So würde Schule die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln – und Mehrsprachigkeit zur sichtbaren Stärke werden. Die Podcast-Folge zeigt: Kinder, die wenig Deutsch verstehen, brauchen Lehrkräfte, die Sprache bewusst und handlungsorientiert in den Unterricht einbetten. Mehrsprachigkeit kann eine Ressource sein. Mit Offenheit, Kreativität und digitalen Hilfsmitteln können Lehrkräfte nicht nur Sprachbarrieren überwinden, sondern auch Gemeinschaft stärken. Und am Ende bleibt die wichtigste Botschaft: Sprache wächst dort, wo Freundschaft, Vertrauen und Freude entstehen.
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Die ganze Podcastfolge finden Sie im Podcast #KlasseZwanzigZukunft – überall, wo es Podcasts gibt!
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